Mystik: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 15. November 2011, 11:06 Uhr

Keyword: Mystik

Links: Bewusstsein, Bewusstseinsentwicklung, Bewusstseinsevolution, Erleuchtung, Esoterik, Geheimnis, Magie, Gott, Gottesbild Individuation, Mandala, Mitte, Mysterium, Mysterium coniunctionis Mystos-Prinzip, Selbst

Definition: Die Mystik [zu lat. mysticus= geheimnisvoll, griech. mystikós] ist eine Form religiösen Erlebens, welche die Erkenntnis Gottes aus Erfahrung, die Vereinigung mit ihm oder die Erkenntnis des Wesens der transzendenten Wirklichkeit sucht.

Information: Bei der Mystik handelt es sich um einen Zustand der Verinnerlichung der Schau nach innen bis dorthin, wo paradoxerweise nichts zu sehen ist. Es ist ein Erlebnis von Einssein mit dem Göttlichen dem All-Einen, dem Kosmos, einer Verschmelzung von Innen und Außen, von Profanem und Heiligen, von Materiellem und Geistigem etc. Zusammengefasst werden diese Erlebniswelten in der unio mystica.

Mystik findet sich in verschiedenen Ausprägungen in der religiösen Traditionen, beispielsweise im chinesischen Daoismus, in Indien in der Erlösungslehre des Vedanta (Shankara), in Japan im Zen-Buddhismus, im antiken Griechenland in Gestalt der Mysterienkulte, in der Spätantike im Neuplatonismus, im Judentum im Chassidismus und der Kabbala sowie im Islam im Sufismus.

Im Christentum erscheint Mystik bereits im N. T. z. B. bei Paulus und Johannes als Christus-Mystik, deren Ziel die unmittelbare Einheit mit Jesus Christus ist; seit dem MA. oft in der Form der Passions-Mystik, als Mitleiden mit Jesus. Die deutsche Mystik erlebte in der Frauen-Mystik des 12. /13. Jh. (Hildegard von Bingen, Mechthild von Magdeburg, Gertrud von Helfta) und der philosophisch-spekulativen Mystik des 13. /14. Jh. (Meister Eckart, H. Seuse, J. Tauler) ihren Höhepunkt.

Mystische Erlebnisse sind unabhängig von Kultur und Religion, von Geschlecht, Alter, Lebensstand etc. Sie scheinen eher abhängig zu sein von außergewöhnlichen Lebenssituationen, die meistens mit Askese und absoluter Konzentration auf Inneres geschehen und verbunden sind. Seelische Not, inbrünstige Gottesliebe wie z. B. bei Theresa von Avila und Johannes vom Kreuz stehen oft am Anfang des mystischen Weges und bleiben ständige Begleiter. )

Es sind in der Regel mutige und zukunftsweisende Einzelgängerinnen und Einzelgänger, die den Weg der Mystik beschritten haben. Oft waren sie Verfolgungen und Bedrohungen ausgesetzt. So wurde z. B. Hildegard v. Bingen noch im Alter von 81 Jahren mit ihrem ganzen Kloster die Feier des Abendmahls verboten. Meister Eckhart entging der Verdammung nur dadurch, dass er vor dem Urteil starb und Johannes vom Kreuz wurde nach langer Haft aller Ämter enthoben und zum Exil nach Mexiko verurteilt, auch er starb zum Glück vorher. Diese traurige und beschämende Reihe ließe sich fortsetzen.

Die Analytische Psychologie hat mit den Konzepten der Introversion, der Zentroversion und eines Archetyps der coniunctio eine theoretische Basis zum Verständnis mystischer Erlebnisse entwickelt. Die unio mystica ist ein symbolischer Ausdruck des Archetyps der coniunctio.

In der Hirnforschung ist es heute möglich, die physiologischen Korrelate des mystischen Erlebens genau zu beschreiben und zu messen. Ken Wilber hat den Stufenweg mystischen Erlebens als Stockwerke eines Bewusstseinsgebäudes beschrieben und im Einzelnen differenziert ausgeführt.

Interpretation: Alle Formen mystischen Erlebens können eigentlich nicht mit Worten beschreiben werden. Dennoch haben sich Mystiker aller Zeiten weltweit bemüht, das Unaussprechliche in Symbolen zu formulieren. Die höchste Stufe mystischen Erlebens ereignet sich, wenn wir über alles Erkennen und Wissen hinaus zu einem grundlosen Nichtwissen gelangen [...] eine ewige Unbenennbarkeit erreichen, wo wir uns verlieren, [...] in uns selbst eine ewige Leerheit erfahren und wahrnehmen, worin niemand mehr wirken kann. Dann erblicken wir ein grenzenloses Glücksgefühl, worin wir alle Eins sind und selbst zu diesem Eins sein werden.

In den Texten der Mystikerinnen und Mystikern geht es immer um denselben unaussprechlichen Tatbestand, deshalb ist das Schweigen als Zugang zu diesem ganz Anderen eine Voraussetzung. Der Zugang zur Mystik setzt seelische Offenheit, möglicherweise auch einen ganz naiven Zugang zu seelischem Geschehen voraus, wie vor allem in der Mystik des Zen beschrieben ist. Die intensive Suche nach dem Weg, mit der Joshu seinem Meister Nansen begegnete, führte zu der Antwort: "In dem Moment, in dem du nach irgendetwas strebst, hast du es schon verfehlt. Wenn du schließlich, ohne danach zu streben, den Weg erreicht hast, ist es wie der Raum: absolut klare Leere. Du kannst es weder auf die eine noch auf die andere Art erzwingen." In diesem Augenblick wurde Joshu zu tiefer Erkenntnis erweckt. Sein Geist war wie der klare Vollmond. (Vgl. Schellenberger 1999, S. 118)

Der Vergleich des Geistes mit dem klaren Vollmond ist ein typisches Symbol des mystischen Erlebens. Hierzu passen nun weder starke Intellektualität, skeptischer Zweifel, vorwiegend rationalistische Lebenshaltung etc. sondern sie verunmöglichen eher den Zugang zum mystischen Erleben wie auch zu seiner Symbolik, führen in der Regel zu Missverständnis und Fehlinterpretation.

Diese paradoxen Formulierungen kennzeichnen die Mystik mit allen ihren Variationen überall auf der Welt. Sie entsprechen genau der Definition des Symbols, wie es C. G. Jung beschrieben hat: Ein Symbol ist der bestmögliche und für die gegebene Epoche nicht zu übertreffende Ausdruck für das noch Unbekannte. Thesis und Antithesis sind gleichermaßen konstelliert, das Symbol bildet einen mittleren Grund, auf dem sich die Gegensätze vereinigen können (Mysterium coniuctionis) Das Neue ist der Feind des Alten und wird entsprechend bekämpft. Das kann alle Gewohnheiten, alles Vertraute betreffen und löst entsprechende Unsicherheit, Angst und Abwehr aus. Dies gilt natürlich vor allem für die Differenzierung und Neuformulierung der Symbolik eines Gottesbildes und der Bilder der höchsten Werte. Es geht nicht nur um den "inneren Gott", einem zentralen Symbol der Mystik, sondern um ein nicht mehr mit Worten erreichbares, um "ein einfaltiges Eins ohne alle Weise und Eigenheit [...] weder Vater noch Sohn noch heiliger Geist [...] und ist doch etwas, das weder dies noch das ist." (Meister Eckehart, 1979 S. 164)

In der indischen Tradition heißt es "neti neti": weder dies noch das. Nur Symbole können annähernd ausdrücken, worum es geht. Das Ganze im beschriebenen Sinn kann von Menschen nur in vielen Schritten und Stufen erreicht werden. Stufenwege und ihre beschriebenen Inhalte sind Symbole der Mystik. In der byzantinischen Mystik sind sie vielfach beschrieben, z. B. als Leiter und Wachstumsgrade.

In der jüdischen Mystik sind diese Stufen im Bilde des Sefiroth-Baumes in der Kabbala dargestellt. Johannes v. Kreuz beschreibt den Aufstieg auf den Berg Karmel mit all seinen Schritten und Mühsalen.

Teresa v. Avila hat sieben Wohnungen beschrieben, Stufen und Symbole des mystischen Weges. Sie hat, völlig abweichend von allen damals bekannten Konventionen die Form des innerlichen, ganz persönlichen Gebetes entwickelt und geriet in den Verdacht der Ketzerei, da hier die Seele einen freien und freundschaftlichen Zugang zu Gott findet, der von der Kirsche nicht mehr in Form bestimmter liturgischer Regeln kontrolliert werden kann.

So wird auch das Herzensgebet, das z. T. mit Atemübungen verbunden ist, zum Symbol des mystischen Weges besonders in der Ostkirche. In der Mystik des Islam war es vor allem Rumi, der den mystischen Weg in immer neuen symbolischen Bildern und im Tanz der Derwische, deren Orden er gründete, beschrieb."Am 17. Dezember 1293 bei Sonnenuntergang entschlief Dschelaleddin (Rumi), um mit der ewigen Sonne vereint zu werden." (Schimmel, 1995, S. 7) So stirbt ein großer Mystiker, vereint "sich", wenn es das dann noch gibt, mit dem "Ewigen". Er wünscht keine Klage, "ist mir doch selige Ankunft hinter dem Vorhang bereitet."

Meist sind es religiöse Symbole, die den mystischen Weg kennzeichnen, doch können scheinbar alltägliche Erlebnisse auch mystischen Charakter erhalten.

Marie-Louise v. Franz berichtet von mystischen Erlebnissen und Symbolen, die C. G. Jung am Ende seines Lebens noch berichtete. Er sah einen großen runden Stein an einer hohen Stelle, an einem kahlen Platz, und darauf stand: dies sei dir ein Zeichen von Einheit und Ganzheit. Dann sah er viele Gefäße rechts in einem viereckigen Platz und dann ein Viereck von Bäumen, deren Wurzeln über die Erde hinaufragten und ihn umhüllten und zwischen den Wurzeln glitzerten goldene Fäden. Wenn das Tao, der Weltsinn und das ewige Leben erreicht sind, sagen auch die Chinesen: "Es blüht das Leben mit der Existenz des Steines und dem Glanz des Goldes." (von Franz, 1996, S. 263 f. )

An anderer Stelle berichtete Jung: "Zu Zeiten bin ich wie ausgespannt in die Landschaft und in die Dinge, und ich selbst lebe in jedem Baum, im Plätschern der Wellen, in den Wolken, den Tieren, die Kommen und Gehen, und in den Dingen [...] hier ist Raum für das raumlose Reich des Hintergrundes." (Jaffé, Jung, 1962, S. 259)

Er schließt sich hier an die Erlebnisse des heiligen Franz an, der alle Geschöpfe Bruder oder Schwester nannte. Es soll sogar Würmer vom Wege aufgesammelt haben, damit sie nicht zertreten werden.

Die tibetische Mystik spricht vom Lotus des eigenen Herzens, von der Silbe OM, einer Blume vergleichbar. Die Blume wurde immer wieder, insbesondere als goldene Blüte, zum Symbol des mystischen Erlebens. In Rumis visionären Worten: "Sieh ich starb als Stein und ging als Pflanze auf, starb als Pflanze und nahm drauf als Tier den Lauf. Starb als Tier und ward ein Mensch. Was fürcht ich dann, da durch sterben ich nie minder werden kann? Wieder, wann werde ich als Mensch geboren sein, wird ein Engelsfittich mir erworben sein und als Engel muss ich sein geopfert auch, werden was ich nicht begreif: ein Gotteshauch." (Schimmel, 1995 S. 43)

In diesen abschließenden Zitaten und Bildern zeigt sich noch einmal die Fülle und Paradoxie, der Reichtum und das Unsagbare der Symbole der Mystik und ihres Weges, immer bezogen auf den menschlichen Alltag, wenn wir das Erleben der Symbolik zulassen. Vielleicht drückt das Bild unser Erleben eines Gotteshauches noch am besten aus, was für uns Menschen zugänglich und sagbar ist, wenn wir das Fenster nach innen öffnen.

Literatur: Standard

Autor: Seifert, Theodor