Alkohol: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr

Keyword: Alkohol

Links: Abendmahl, Alchemie, Bier, Destillation, Drogen, Fermentatio, Gärung,Nahrung, Rausch, Rebe, Wein

Definition: Das Wort Alkohol, (arab. al kuhl, feiner, trockener Staub, feines Pulver) wird im Deutschen von Paracelsus verwendet, um eine feine, flüchtige, dem Mercuriusgeist zugeordnete Substanz zu charakterisieren: den Weingeist bzw. Spiritus (Geist, Seele, Luft, Atem, Lebenshauch). Im allgemeinen Sprachgebrauch ist Alkohol heute die Bezeichnung für Ethylalkohol, also für die farblose, klare, herb-würzig riechende, brennbare und scharf-brennend schmeckende Substanz, die als Nahrungs-, Heil-, Genuss- und Rauschmittel in sozialem, sakralem und individuellem Kontext seit alters genossen wird.

Information: Alkohol gilt als sakral aufgrund seiner heilenden, entspannenden, entkrampfenden, betäubenden, kräftigenden und seiner auf das menschliche Bewusstsein und die Sinne berauschenden, bewusstseinsverändernden und euphorisierenden Wirkungen. Der Honigwein Met, ältestes alkoholisches Getränk, ist Göttergetränk und Göttergeschenk. Als Göttertrank gibt Alkohol Einsicht, Verstehen, Verständnis, esoterisches Wissen, Weisheit, mystische Begegnung. Das christliche Abendmahl hat antike Vorläufer, z. B. im Mithraskult. Das Symposion (Trinkgelage mit philosophischem Gespräch) ist mit einem aus Wein bestehenden Trankopfer für Zeus begonnen worden: Der Wein öffnete für das Philosophieren, so wie Alkoholgenuss auch heute noch Situationen eröffnen kann und Menschen zum Gespräch ermutigt. Alkohol gibt dazu noch Leichtigkeit, Lachen, Komik und Sinnenfreude, auch Feierlichkeit, Ergriffen- und Erhabenheit. In den mystischen Erfahrungen der Sufis ist der Alkoholgebrauch und -rausch ebenso verankert wie in den dionysischen Orgien und Festen der griechischen Kultur. Brot und Wein oder Bier werden als Symbol für weltliche und göttliche Nahrung, Wohlstand und Wohlergehen betrachtet.

Interpretation: In Trinkliedern und -sprüchen wird der ekstatische Charakter des Lebenswassers Alkohol in seinen kommunikativen, festlich-feierlichen, in seinen befreienden, öffnenden, enthemmenden, lebensfrohen, vitalisierenden und in seinen erotisierenden Aspekten quer durch alle Gesellschaftsschichten geehrt: Verdis La Traviata oder Mozarts Champagnerarie in Don Giovanni vermitteln seine glitzernde, gleißende, kraftvolle Ekstase musikalisch. Faust begegnet dem dionysischen Lebenswasser in Auerbachs Keller und erfährt dabei das Leben, das ihm bisher fehlte.

Die verbreitete Bezeichnung Feuerwasser für Alkohol erinnert auch an die alchemistische Symbolik von Feuer und Wasser als die in einer Flüssigkeit vereinigten Urgegensätzen. Feuerwasser ist Lebenswasser, aqua vita, whisky (gälisch für alkoholisches Getränk) oder Lebenselixier, aus dem alles hervorgeht. Alkohol kann Katalysator für verdrängte Affekte, Emotionen und Triebe und die Schattenhaftigkeit der Persönlichkeit sein. Trauer, Tragik, Leid, Melancholie, Weltschmerz, Rührseligkeit (wein- oder bierselig sein) werden intensiver erfahren. Liebe, Freude, Erotik, Lust und Sexualität – oft mit prickelndem Champagner verbunden (Mozarts Champagnerarie in Don Giovanni) – wird tiefer genossen, Verführung und Hingabe scheinen leichter möglich. Komik, Zoten, Primitivität, Verrücktheit (einen Affen haben, die Sau raus lassen) dürfen sein und können genossen werden. Wie Kinder und Narren, so sagen Betrunkene manchmal schonungslos die Wahrheit oder holen aus allzu idealistischen Vorstellungen herab.

In Shakespearestücken kommen Betrunkene in dieser Funktion genau so vor, wie in modernen Dramen und Filmen. Ungesteuertheit und Verlust der Kontrollfähigkeit des Alkoholisierten belustigen oft (Zielwasser getrunken haben), was auch in Komödien und im Kabarett gerne genutzt wird. Antriebslosigkeit und Faulheit (bierernst haben sich die bier- oder weinseligen Studenten dem Studium gewidmet) können ebenso wie Stärke, Kraft, Mut und Aggression (sich Mut antrinken) mit Alkoholgenuss erreicht werden. Alkohol spielt häufig bei Ausschreitungen und Exzessen Jugendlicher eine Rolle. In B. Brechts "Mutter Courage" wird die zentrale Bedeutung des Branntweins für die Soldaten aufgezeigt.

Die entspannende, entkrampfende, betäubende und einschläfernde Wirkung von Alkohol macht ihn nicht nur zum Lebens- sondern auch zum Todeswasser. In der Alchemie ist es das Wasser der Zersetzung, in dem alles vergeht, tiefe Schwärze herrscht, Rohheit, Gewalt, Blut und Tod. Menschen nehmen den "Schlummertrunk" oder "Verdauungsschnaps", ertränken Gefühle, spülen sie mit Alkohol herunter. Alkohol wird Seelentröster, Sorgenbrecher ("Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein"). Die dionysischen Feste führten zu Auflösung, Zerstückelung, Wahnsinn. Todeswasser war Alkohol für die nordamerikanischen Indianer, ist er täglich für Alkoholkranke und für diejenigen, die unter den Folgen von Alkoholmissbrauch Schaden erleiden. Wie Glückseligkeit, Kraft und Kreativität, Ekstase des Rauschs umschlägt in Depression, Verzweiflung und Leere haben u. a. Degas (Der Absinth) und Manet (Die Bar in den Folies-Bergères) in Bildern anrührend eingefangen.

Alkoholverbote und Regeln für den Umgang mit Alkohol sind uralt und Ausdruck des Wissens über seine vielfältigen ambivalenten Wirkungen. Uralt ist auch der Missbrauch des Alkohols. Die Gründe für den Alkoholmissbrauch werden oft in der Konfrontation der Menschen mit der Frage nach dem Sinn ihres Daseins gesucht, mit der inneren Leere durch Infragestellung der religiösen und ethischen Werte, der Bedrohung und Verlorenheit des Einzelnen in einer menschenfeindlichen, anonymen, technisierten, kapitalisitischen Gesellschaft.

C. G. Jung wies in einem Brief an einen ehemaligen Patienten, den er nicht von seiner Alkoholsucht hatte heilen können, auf den Widerspruch hin, dass für die höchste religiöse Erfahrung wie auch für das Gift Ethanol der lateinische Begriff Spiritus verwendet werden könne. Er leitet daraus ab: "Spiritus contra spiritum". Sein Patient nahm das als Anregung ernst und gründete die Anonymen Alkoholiker, deren Konzept religiös begründet ist.

Literatur: Standard

Autor: Müller, Anette