Appetit

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Keyword: Appetit

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Definition: Appetit – lateinisch appetitus, von ap-petere: nach etwas hinlangen, verlangen, begehren; Kompositum von petere: zu erreichen oder zu erlangen suchen, verlangen, begehren – steht für ein ebenso körperliches wie seelisches Verlangen nach Essen und wird durch Hunger aber auch zahlreiche andere Einflüsse und Reize ausgelöst. Im weiteren Sinne kann mit Appetit ein sich auf andere Objekte oder Ziele richtendes Verlangen oder Begehren bezeichnet werden.

Information: Der Begriff Appetit teilt mit den Worten Wort Feder und Fittich die gemeinsame indogermanische Wurzel pet: auf etwas los- oder niederstürzen, hin schießen auf etwas oder auf etwas hin fliegen. Sich von etwas angezogen fühlen wird umgangssprachlich manchmal auch als "auf etwas fliegen" bezeichnet.

Interpretation: Guten oder gesunden Appetit zu haben, ist Ausdruck eines gesunden Lebens, eines gesunden Verlangens, Strebens oder Gelüstens nach etwas, einer gesunden Lust und Sinnlichkeit, von Genussfreude und Genießen im vielfältigen Sinn. Essen oder andere Trieberfüllung ohne Appetit ist Zeichen von Krankheit, Leiden, gestörter Vitalität, Lustlosigkeit, Konflikt und Depression.

Immer wieder Appetit zu entwickeln, auf das zugleich alltägliche wie wunderbare Essen, auf geistige Kost und Speisung, auf das alltägliche und zugleich geheimnisvolle Leben und das Wunder und den Reichtum des Lebens ist Lebenskunst. Vertrautes, Abwechslung und Neues gehören dazu in guter Mischung auf den Tisch. Die traditionelle Wunschformel “Guten Appetit” zu einer Mahlzeit bringt kurz und prägnant die Lebensweisheit und Lebenslust, die in einem guten, gesunden, gesegneten Appetits liegt, zum Ausdruck. Phasen des guten und auch des minderen Appetits und der Appetitlosigkeit ebenso wie Phasen, in denen Appetit mehr oder weniger befriedigt werden kann, gehören unabdingbar zum Wechselspiel des Lebens und können auch Symbol für diesen Wechsel sein. Übermäßiger oder unersättlicher Appetit zeugt von Gier, übermäßiger Appetit auf Essen kann Ersatzbefriedigung für anderes Begehren sein und auf ungenügende Befriedigung anderer Leidenschaften hinweisen. Im übertragenen Sinne kann Appetit zu bekommen auch bedeuten, macht- oder habgierig zu werden.

Appetit vom Hunger, vom Heißhunger und von den stärkeren Begierden und Leidenschaften zu unterscheiden ist diffizil. Hunger ist im Gegensatz zu Appetit ein körperlicher oder psychischer Mangelzustand, der nicht ohne schwerwiegende Folgen über längere Zeit vernachlässigt werden kann. Appetit ist – im Gegensatz zu Hunger – auch sozial vermittelt, mit Traditionen, Erfahrungen und Gewohnheiten verkoppelt, ein psychosomatisches Erlebnis, manipulierbar, subjektiv und weniger leidenschaftlich, weniger heftig, weniger somatisch-triebhaft als Hunger und Gier. Er zielt auf einen angenehmen Sinnesreiz, etwas Schmackhaftes, auf einen Gaumenkitzel oder eine Gaumenfreude, auf Schmeichelei des Gaumens oder anderer Sinne. Dem Appetit und Geschmack folgen kann, wer Auswahl hat, nicht wer Mangel und Not leidet. Hunger zielt auf etwas Nahrhaftes und Nährendes, ist ein primäres Bedürfnis, das beim Neugeborenen spontan auftritt, Appetit bedarf zusätzlicher Reize, die eine angenehme oder lustvolle Erfahrung, einen Kitzel, eine Freude, eine Verwöhnung, eine Schmeichelei versprechen. Wenn keine Not an körperlicher, geistiger und emotionaler Nahrung ist, wenn Hunger gar nicht erst wirklich auftritt, geschweige denn schmerzhaft wird, dann müssen Objekte besonders appetitlich und motivierend zubereitet oder gestaltet werden.

Appetitliches reizt zum Essen, oder zieht einen auf andere sinnliche, erotische, sexuelle, emotionale oder manchmal auch geistige Weise an. Appetitliches wirkt oral, erotisch und sexuell attraktiv, frisch, sauber und gepflegt, ist zum Anbeißen, knackig, lässt einem das Wasser im Munde zusammen laufen, macht einem den Mund wässrig, macht einen neugierig oder – etwas leidenschaftlicher – scharf oder heiß auf etwas. Die appetitliche Verpackung von etwas ist manchmal besonders wichtig und kann auch über einen Inhalt hinweg täuschen. Etwas kann einem sinnlich und geistig Appetit auf etwas oder Appetit auf mehr machen, appetitanregend oder ein Appetithappen sein, z. B. ein Ausschnitt aus einem Film darauf, den ganzen Film anzuschauen. Manchmal muss man erst zu essen beginnen oder auch sich mit etwas eine Weile beschäftigen, damit der Appetit kommt, auch z. B. beim Lesen eines Buches, denn: Der Appetit kommt beim Essen.

Andererseits ist ein ständiger Überfluss an Speisen appetitdämpfend, kann Abneigung und Ekel erzeugen, auch Verweigerung. Nach üppigen Mahlzeiten oder intensiven Erfahrungen kann es kompensatorisch geschehen, dass man keinen Appetit mehr auf etwas hat, dass der Wunsch nach Fasten, Einfachheit und einem klaren Reiz, der wieder Appetit macht, auftaucht. So wie Überfluss und Übermaß verhindern, dass ein gezieltes Suchen entstehen kann – es ist ja alles da – können sie auch dazu führen, dass der Suchende immer wählerischer, exzentrischer und schwerer zufrieden zu stellen ist. Im Missbrauch der Genussmittel und Luxusgüter moderner Wohlstandsgesellschaften, nicht nur in den Ess-Störungen und anderen Suchtformen, auch in ihrem Konsum-, ihrem Freizeit- und Reiseverhalten u. v. m. wird das deutlich. Während anregender Überfluss Fest, Feier und Besonderheit kennzeichnet und Appetit Gesundheit und Wohlergehen bedeutet, kann dauernder Überfluss Langeweile und Stillstand hervorrufen, den Appetit töten und Depression und Sinnlosigkeit hervorrufen oder aber gesteigertem Appetit nach Neuem, Neugier nach noch nie da gewesenem erzeugen. In solchen Situationen rückt oft ein Bedürfnis nach Nervenkitzel oder dem besonderen Kick oder Event mehr in den Mittelpunkt. Hinter der Suche von gesunden, gebildeten und wohlgenährten Menschen, vor allem auch von Jugendlichen nach dem “ultimativen Kick”, nach dem “Event”, nach Exotik und Abenteuer, nach Rausch und Ekstase steht der Wunsch, lustvoll loszustürzen, auf etwas voller Begeisterung zuschießen, hinschießen oder -fliegen.

Keinen existentiellen Hunger leiden müssen kann trotz allem damit verbundenen Wohlgefühl und Komfort träge oder aggressiv machen und Sinnlosigkeit erzeugen. Luther, Goethe und andere Dichter drücken dies sprichwörtlich aus: “Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen” (Goethe, Sprichwörtliche Reime). Die Nouvelle Cuisine versucht deshalb, seit es in Europa Nahrung im Überfluss gibt, Mahlzeiten wieder auf Wesentliches und auf Einfachheit zu konzentrieren und zu reduzieren und kreiert eine neue Appetitlichkeit des Maßvollen im Überfluss.

Ein appetitliches Essen ist eine mit Anteilnahme und Liebe zubereitete, Lust und Liebe gebende Stärkung für einen langen Tag, die Verbindung und Wissen umeinander und voneinander ausdrückt. Keinen Appetit darauf zu haben, bedeutet auch, dieses Geschenk nicht annehmen zu können oder verweigern zu müssen. Vielleicht sieht es appetitlich aus und ist doch vergiftet, weil es mit zu viel Verwöhnung oder Macht oder anderen Beziehungskonflikten gespickt ist. Appetit kann zu sehr mit dem verführerischen und abhängig machenden Bios- und dem Erosprinzip verbunden sein. In der Verweigerung solcher appetitlicher Nahrung oder durch Aufgabe des Appetits kann das Erleben, Denken, Wollen bewusst auf Autonomie, auf Logos- und Herosaspekte gelenkt werden. Die Verwirrung eines Essgestörten darüber, ob er Hunger oder Appetit hat, kann ausdrücken, dass seine Grundbedürfnisse sowohl an Essen wie auch an Zuwendung abgedeckt sind, er aber eigentlich dabei Langeweile empfindet, nichts findet, was ihm Appetit macht oder einen darüber hinausgehenden Appetit stillt.

Literatur: Standard

Autor: Müller, Anette