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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr

Keyword: Oben

Links: Aufstieg, Berg, Fliegen, Himmel, Hybris, Leiter, Logos-Prinzip, Progression, Sonne, Turm, Überich, Unten, Vater, Vogel

Definition: Oben ist eine Richtungsangabe, die sich auf eine vom Beobachter aus betrachtet höher gelegenen Stelle, an einem hoch gelegenen Ort bezieht. Oben und unten sind entgegengesetzte Richtungen, bei denen die Schwerkraft der Erde zur Definition verwendet wird. Oben ist die Richtung entgegen der Schwerkraft, unten ist die Richtung mit der Schwerkraft.

Information: Die Polarität "Oben - Unten" ist eine der Urpolaritäten. Viele Schöpfungsmythen lassen die Welt- und Selbst-Bewußtwerdung des Menschen beginnen mit einer Aufspaltung der uranfänglichen Einheit in einen oberen und einen unteren Bereich. Oben ist der Geist, unten ist das Chaos. Dabei wird dem oberen Bereich in der Regel das männlich-väterliche Prinzip und dem unteren Bereich das weiblich-mütterliche Prinzip zugeordnet. In sehr klarer und reiner Form wird dies im Taoismus in der Symbolik von Yin und Yang dargestellt. Viele andere Polaritäten wurden dann dieser Raumpolarität beigeordnet. Oben heißt dann u. a. auch: Sonne, Himmel, Logos, Geist, Idee, (Ich-) Bewußtsein, Licht und Helligkeit, Klarheit, Übersicht, Eindeutigkeit, Aktivität, Kopf, Denken und Vernunft, Sieg, Macht, Erfolg, Anspruch und Kompetenz.

Aus diesen Zuordnungen ist bereits eine gewisse Wertung herauszuhören, zumindestens für unser patriarchal eingestelltes Bewusstsein: sie erwecken in uns vornehmlich positive Assoziationen. Das hängt damit zusammen, dass - wie Neumann in seiner Ursprungsgeschichte des Bewusstseins beschreibt (Neumann 1949) beschreibt - die ursprüngliche Gleichgewichtigkeit und Ambivalenz von Oben und Unten im Laufe der patriarchalen Entwicklung zugunsten einer einseitigen Akzentsetzung aufgegeben wurde. Es kam zu einer Entwertung und Negierung des Unten und zu einer Betonung der aufsteigenden Entwicklung nach oben, zum Bewußtsein und zum Geist, "damit aber auch zum "Guten" als einem Leben in Übereinstimmung mit dem Himmelskanon." (Neumann, 1949, 19)

Interpretation: Das Obere ist meist gut, das Untere ist meist schlecht: Vieles von dieser Wertung finden wir in unserem Sprachgebrauch. Wenn wir uns gut fühlen, stark und überlegen, dann sind wir "oben auf", "Top" oder "auf der Höhe". Erfolgreich im Leben sein heißt, sich die Erfolgsleiter nach oben hinaufgearbeitet zu haben, einen sozialen "Aufstieg" geschafft oder gar eine "steile" Karriere gemacht zu haben. Einmal im Leben "ganz oben" zu stehen ist der geheime Wunschtraum vieler Menschen, denn das bedeutet, die "Hochgefühle" der Macht, des Einflusses, der Bewunderung und des Ruhms zu erfahren und über den anderen Menschen zu stehen. Die Besteigung eines Berges vermag ähnliche Gefühle und Erlebnisse zu erzeugen.

Die Höhe ist auch der Ort der Begegnung mit dem Transpersonalen, der Ort der Erleuchtung, der Offenbarung des Göttlichen, der Einkehr und Meditation, der Erhebung der inneren Kräfte. Darum haben viele Religionen die Berge als Sitze der Götter, ja, als etwas Göttliches selbst betrachtet.

Aber hier wird bereits auch die Gefahr des Oben-Seins sichtbar: wer sich als "Übermensch" "überheblich" den Göttern nähert, wird von ihnen wegen dieser Hybris mit dem Absturz und dem Tode bestraft (vgl. das Schicksal vieler mythologischer Helden, der Mythos von Ikarus, die Geschichte vom Turmbau zu Babel oder die des Königs Nebukadnezar aus dem AT). Laotse meint: "Hoch steht auf Tief", wir sagen: "Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden" oder "Hochmut kommt vor dem Fall". Die Strafe für eine Verstiegenheit, Überhebung, Aufblähung und Inflation des Ich-Bewußtseins können Deflation, Seelenverlust, Wahnsinn und Selbstzerstörung sein.

Neumann (1949) unterscheidet zwei Formen der "patriarchalen Kastration", die der Gefangenschaft und die der Besessenheit. In der Gefangenschaft bleibt der Mensch in totaler Abhängigkeit vom Geist-System und der Kollektivnorm, wie sie z. B. als übermächtiges altes Gesetz, als alte Religionsform, alte Moral, alte Gesellschaft, als Gewissen, Konvention, Tradition oder irgendeine andere geistige Gegebenheit erscheint und verliert so den Anschluss an das Schöpferische.

In der Besessenheit hingegen identifiziert sich das Ich mit dem göttlichen Vater, was einer Vernichtung durch den Geist und den Verlust des Kontaktes zur Erdseite bedeutet. Diese Inflation führt "zum Größenwahn, zur Überdehnung des Ichbewußtseinssystems. Das Bewußtsein ist mit Geistinhalten, die es nicht verarbeiten kann, und mit Libidomengen, die ins Unbewußte gehören, überfüllt. Das leitende Symbol dieses Zustandes ist die "Himmelfahrt", seine Symptome sind das Den-Boden-unter-den-Füßen-Verlieren, der Körperverlust im Gegensatz zur Zerreißung, die Manie im Gegensatz zur Depression".

Diese Hybris scheint heute zum Krankheitssymtpom unserer Gesellschaft und Kultur schlechthin geworden zu sein. Hierher gehört auch die "Entdeckung" und Beschreibung des narzisstisch gestörten Menschen (Narzissmus), der ja alle jene Symptome aufweist, die durch den zu langen Aufenthalt in zu großen Höhen entstehen können. Denn das Obensein beinhaltet auch Isolierung, Nur-auf-sich-selbst-bezogen-sein, Lebens- und Menschenferne und die Gefahr des Todes durch Erfrieren und Erstarren. Deshalb spielt bei narzisstisch gestörten Menschen das Traummotiv der Erdferne, des Oben-Seins oder des In-der-Luft-Seins eine besonders Rolle.

Literatur: Standard

Autor: Müller, Lutz