Wesen: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 9. Oktober 2015, 13:50 Uhr

Keyword: Wesen

Links: Selbst

Definition: Das „innerste Wesen“ eines Lebewesen oder einer Sache meint die zentrale Natur, das anfängliche, ursprünglich Gegebene, Bleibende im Gegensatz zum Überformten, Veränderlichen.

Information: Das „Wesentliche“ erfassen ist erst möglich, wenn die Hauptsache, die Kernaussage erfasst ist, die „Essenz“, oder gar die „Quintessenz“ (lat. quinta essentia, vgl. a. Mercurius in der Alchemie). Die Wortwurzel des Verbums „wesen“, heute nur noch poetisch gebraucht, geht über mhd. wesen zu ahd. wesan, idg. ues = „sein, „vorhanden sein, verweilen, wohnen“. Das Substantiv führt zu den Bedeutungen „Dasein, Leben, Existenz“ und zum „Verweilen an einem Ort“ i. S. von „Aufenthaltsort, Wohnstätte, Wirtschaft, Anwesen“.

Interpretation: Die Bedeutung des Begriffs „Wesen“ erfuhr durch die Jahrhunderte zwar einige Nuancierungen, doch blieb eine gewisse ahnungsvolle Unschärfe des geheimnisvoll Belebten und Belebenden, des „Webenden und Wesenden“ erhalten, die auch noch in scheinbar rein rationalen Begriffen wie „Staatswesen“, „Gemeinwesen“, „Schulwesen“, Finanzwesen“ anklingt und ein unwillkürlich oder sachlich Verbundenes meint. In der geistlichen Literatur des späten MA ist häufig vom „Wesen und Wirken Gottes die Rede. „Gott ist ein wirckende krafft in allen dingen, die in allen creaturen weset und alles in allen wirket“ (S. Franck, zit. n. Grimm). Während das „Wirken“ sich assoziativ mit aktiver Gestaltung verbindet, weist das „Wesen“ auf eine eher stille, untergründige, quasi vegetative Kraft hin, ein subtiles, unmerkliches, verborgenes, dennoch lebendiges Sein und Wirken. Was etwas „dem Wesen nach ist“, ist es nach seinem eigentlichen Sein, seiner wahren Natur. „Mensch werde wesentlich, “ mahnt der Mystiker Angelus Silesius (1624-1677).

Ein „menschliches Wesen“ unterscheidet sich in wesentlichen Weisen seiner Art von „Tierwesen“ oder „Pflanzenwesen“, ist aber wie sie ein „Lebewesen“, allerdings eines, dessen Wesensbestimmung der Drang nach Wesenserkenntnis ist. Es gibt dazu verschiedene Wege: Das Wesen Gottes (gr. ousía) interessiert den Theologen, das Wesen der Welt, des Menschlichen oder des Individuums die Philosophie, später auch die Psychologie. Das Wesen eines Menschen ist komplex, nach C. G. Jung gründet es in archetypischen Strukturdominanten, die als lebendige „Wesenheiten“ zu sehen sind. Ihre wesensgemäße Anerkennung, Organisation und Gestaltung bestimmen die „Wesensart“ eines Individuums als ein Gesamt von Eigenarten und Wesensäußerungen. Archetypisch-wesenhafte Kräfte zeigen sich auch in sonderbaren oder phantastischen Wesen, wie sie in Märchen, Träumen oder Imaginationen erscheinen. Bisweilen eignen ihnen dämonische Kräfte. Der Ausdruck „Wesen“ meint hier (ebenso wie „Wesenheit“) Unbestimmbarkeit der kategorialen Zugehörigkeit oder Gestalt mit einem Grundzug von lebendiger Dynamik. Solche Wesen oder Wesenheiten können, wenn nicht beachtet, auch „ihr Unwesen treiben“. Sie sind Ausdruck des Unbewussten, und können „viel Wesens“ von sich machen, wenn sie nicht berücksichtigt werden. Es kommt darauf an, sie in ihrem Wesenskern zu erfassen, und sich nicht durch das schillernde äußere Wesen ihres Auftretens in Unwesentliches zu verstricken. Zum Wesen des Unbewussten gehört jedoch auch, sich als „Unwesentliches“ zu tarnen. Jung hat z. B. empfohlen, bei Traumdeutung und Selbsterfahrung gerade auf das zu achten, was bedeutungslos (= „unwesentlich“) erscheint. Das „wahre Wesen“ versteckt sich nämlich gern im Unwesentlichen, Unscheinbaren, Minderwertigen (auch in der „minderwertigen Funktion“), so wie in der Alchemie die Quintessenz oder der Stein des Weisen sich im Gewand des scheinbar Unwesentlichen, Wertlosen verbirgt. Das verborgene wahre Wesen entspricht dann symbolisch dem Selbst in der Maske des Aschenputtels, Bärenhäuters und ähnlicher Märchenmotive.

Literatur: Standard

Autor: Romankiewicz, Brigitte