Bauch und Perfectio: Unterschied zwischen den Seiten

Aus symbolonline.eu
(Unterschied zwischen Seiten)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
K (1 Version importiert)
 
K (1 Version importiert)
 
Zeile 1: Zeile 1:
'''Keyword:''' Bauch
'''Keyword:''' Perfectio


'''Links:''' [[Körper]], [[Essen]], [[Mitte]], [[Nahrung]], [[Selbst]], [[Trieb]]
'''Links:''' [[Alchemie]], [[Alchemie]], Phasen der [[Hermaphrodit]], [[Rot]], [[Selbst]], [[Stein]] der Weisen


'''Definition:''' Körperregion, die sowohl die Verdauungsorgane ([[Darm]]), die weiblichen Fortpflanzungsorgane sowie – in der Schwangerschaft – das heranreifende ungeborene Kind beherbergt.
'''Definition:''' Bei der Perfectio handelt es sich um einen Begriff aus der [[Alchemie]], der die Eigenschaft der höchsten Vollkommenheit des [[Steins]] der Weisen bezeichnet, dessen Grad der Perfektion noch höher als der von Gold ist. Er wird deshalb auch als plusquamperfect (überperfekt) bezeichnet.


'''Information:''' Das Wort Buch gehört wahrscheinlich im Sinne von "Geschwollener" zur indogerm. Wortgruppe von mhd "biule" (= Beule). Zugrunde liegt vermutlich eine Lautgebärde für die aufgeblasenen und daher dicken Backen, was auf die Funktion des Bauches beim Atmen verweisen könnte; vgl. griech. physa = Blasebalg. Blase geht auf dieselbe Lautgebärde 'phu' = aufblasen, sprengen, platzen, zurück. Nach Erkenntnissen der Neurogastroentereologie gibt es ein "Bauchhirn", das als eigenständiges Nervensystem um den Verdauungstrakt liegt, die Energiegewinnung hier koordiniert, mit dem Kopfhirn zwar verbunden ist, aber weitgehend selbstständig arbeitet, wobei Zelltypen, Wirkstoffe und Rezeptoren in Bauch- und Kopfhirn exakt dieselben sind.
'''Information:''' Die Stufe der Perfectio wird erst mit der Vermehrungs- ([[multiplicatio]]) und Übertragungsfähigkeit (proiectio) des Lapis erreicht. Die Farbe der Perfectio ist Rot ([[Rubedo]]).


'''Interpretation:''' Die Trennung von Kopf und Bauch, wonach dem Bauch die Triebwelt, Affekte und die "niederen Gefühle" zugeordnet werden, der [[Kopf]] dagegen als Geistzone gilt, entspricht einer körperfeindlichen, patriarchalen Auffassung. Dagegen spielt die "Bauchkunst" in der japanischen Welt eine bedeutsame Rolle; sie meint jedes Tun, das vom Bauch her vollendet ist. Auch das Denken soll vom Bauch her geschehen, um die Teilhabe des ganzen Menschen am Denken zu gewährleisten. Wenn ein Mensch nur mit dem Kopf denkt, wird dies als zu verstandesmäßig-einseitig, zu oberflächlich und nicht mit dem Wesen des Menschen verbunden kritisiert.
'''Interpretation:''' Der Perfectio entsprechen paradoxe Symbole wie z. B. der männlich-weibliche [[Hermaphrodit]], durch den die Gegensätze überwunden und auf einer höheren Ebene zu einem vollkommenen Ganzen vereinigt werden. Er bedeutet Anfang und Ende des alchemistischen Opus wie auch Anfang und Ende der Weltschöpfung. Bild 17 des [[Rosarium]] philosophorum bringt den Hermaphroditen zur Darstellung und ist mit „ostentio perfectionis“ (Darstellung des Vollkommenheit) überschrieben. Weitere Symbole der Perfectio sind in diesem Bild das [[rebis]] (res binae, das Zweifache in einem Ding), auch arbor philosophica genannt, die dreiköpfige Schlange, welche die vollkommene Vereinigung von Körper, Seele und Geist symbolisiert, und der Pelikan. Bild 20 des Rosarium zeigt die Perfectio durch [[Christus]] (vgl. Parallele von [[Lapis]] und Christus) mit seinem vollkommenen Leib der Auferstehung (corpus glorificationis), der „aller Makel bloß“ ist. Auch geometrische Figuren wie Kreis, Dreieck und Quadrat ([[Mandala]]) verdeutlichen die Vollkommenheit des Steins.


Um mit dem Bauch zu denken, muss man Hara (japanisch = Bauch) haben. Natürlich nicht im materiellen Sinn physischer Fülle, sondern in geistigem Sinn, wobei das Geistige jedoch seine physische Entsprechung hat. Daher wird die "Bauchkunst" durch geistiges und körperliches Üben erreicht und ist eine Dauerübung, um ein Mensch mit "gesetztem Bauch" zu werden, d. h. Stetigkeit des Gemüts zu erlangen, während dem Menschen "mit ungeübten Bauch" die stabile Mitte fehlt, auf die es zur Selbstverwirklichung des Menschseins ankommt. Hara bezeichnet die "leibhaftige Verkörperung und bewußte Präsenz der ursprünglichen Mitte des Lebens im Menschen". (Dürckheim, 1970, S. 8). Es "bedeutet jenes umfassende Empfangs- und Gestaltungsorgan, das im Grunde der ganze Mensch" ist."Das im Hara verankerte Selbstbewußtsein ist das Bewußtsein eines Selbstes, das mehr ist als das bloße Ich." (Dürckheim, 1970, 47) Durch Verankerung im Hara bringt sich der Mensch in seinen inneren Schwerpunkt, "dessen Gefestigtheit den Menschen gegen die Labilität seiner Ich- und Triebkräfte feit und darin die Verbundenheit mit tieferen Kräften anzeigt." (Dürckheim, 1970, S. 47)
Durch das Opus magnum will der Alchemist die Natur bzw. den Makrokosmos zur Vollkommenheit bringen und damit auch den göttlichen Anthropos bzw. filius macrocosmi erlösen, der in der unvollkommenen Materie gefangen war. Der damit verbundenen Gefahr der Inflationierung durch das Unbewusste kann der Alchemist nach Jung (GW XII, S. 404f) nur durch Bezug auf das Selbst entgehen. Beim Selbst, dem psychologisch die Perfectio zuzuordnen ist, geht es aber weniger um Vollkommenheit als um Vollständigkeit.
 
Auf dem Hintergrund dieses Wissens erscheint die im Westen weitverbreitete Einstellung gegen den Bauch bedenklich. Der Befehl "Brust raus – Bauch rein" verhindert nicht nur die entspannte Tiefenatmung und Verankerung in der eigenen Leibmitte, er führt auch zu einer Körperhaltung, die eine falsche innere Haltung nahelegt und fixiert. Er kann damit zu einer Überbetonung des Ichs und seiner Rationalität, zu einem Verlust der "Erdmitte", zu einem labilen, weil zu hohen Schwerpunkt und zu entsprechend unbewusster Angst veranlassen.
 
Wahrscheinlich spiegelt sich in dieser westlich-soldadatisch-heldischen Körperhaltung die Unausgewogenheit im matriarchal-patriarchalen Spannungsfeld: Der Bauch verweist mit seinem Fruchtbarkeitsaspekt und Gefäßcharakter auf seine symbolische Verbindung zum Archetyp der Großen Mutter, deren Kernsymbol das enthaltende, umhüllende, schützend-bergende Gefäß ist – wie der Bauch sowohl die lebensenergie-spendende Nahrung wie auch das entstehende neue Leben enthält und schützt.
 
Allerdings handelt es sich bei diesen Inhalten um lebendige, daher veränderliche Prozesse, woraus sich der Wandlungsaspekt des Bauches als Retorte, Kessel, Topf usw. ergibt.
 
Die negative Seite des Bauchgefäßes wird im Festhalten und Verschlingen, in der Maßlosigkeit seiner Fülle deutlich. Da in der japanischen "Bauchkunst" sowohl aktive wie rezeptive Fähigkeiten geübt bzw. erzielt werden, könnte es sich beim Harabewusstsein um eine Harmonie von matriarchalem und patriarchalem Bewusstsein handeln. Bemerkenswert ist, dass im Westen noch in der Kunst der Romanik und Frühgotik die Bauchregion betont ist, teilweise geradezu als Ort, von welchem ein Energiewirbel auszugehen scheint.
 
Hierzu Parallelen aus Mythologie: Jonas im Walfischbauch; Baubo (= kleinasiatische-griechische Fruchtbarkeitsgöttin, deren Gesicht sich auf ihrem Bauch befindet. Hierzu schreibt Erich Neumann: "durch die Beschränkung auf die Bauch- bzw. Schoßpartie (wird) das Unmenschliche und Unheimliche, die radikale Autonomie des Bauches gegenüber den 'höheren Zentren' von Herz, Brust und Kopf, ausgesprochen und als heilig inthronisiert." (Neumann, 1985, S. 139)
 
Sprichworte: Ein voller Bauch studiert nicht gern. Sich den Bauch vor Lachen halten. Lachen, dass einem der Bauch weh tut. Auf vollem Bauch steht ein fröhlich Haupt. Der Unmäßigen Gott ist der Bauch. Ein hungriger Bauch hat keine Ohren.


'''Literatur:''' Standard
'''Literatur:''' Standard


'''Autor:''' Rafalski, Monika
'''Autor:''' Krapp, Manfred

Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr

Keyword: Perfectio

Links: Alchemie, Alchemie, Phasen der Hermaphrodit, Rot, Selbst, Stein der Weisen

Definition: Bei der Perfectio handelt es sich um einen Begriff aus der Alchemie, der die Eigenschaft der höchsten Vollkommenheit des Steins der Weisen bezeichnet, dessen Grad der Perfektion noch höher als der von Gold ist. Er wird deshalb auch als plusquamperfect (überperfekt) bezeichnet.

Information: Die Stufe der Perfectio wird erst mit der Vermehrungs- (multiplicatio) und Übertragungsfähigkeit (proiectio) des Lapis erreicht. Die Farbe der Perfectio ist Rot (Rubedo).

Interpretation: Der Perfectio entsprechen paradoxe Symbole wie z. B. der männlich-weibliche Hermaphrodit, durch den die Gegensätze überwunden und auf einer höheren Ebene zu einem vollkommenen Ganzen vereinigt werden. Er bedeutet Anfang und Ende des alchemistischen Opus wie auch Anfang und Ende der Weltschöpfung. Bild 17 des Rosarium philosophorum bringt den Hermaphroditen zur Darstellung und ist mit „ostentio perfectionis“ (Darstellung des Vollkommenheit) überschrieben. Weitere Symbole der Perfectio sind in diesem Bild das rebis (res binae, das Zweifache in einem Ding), auch arbor philosophica genannt, die dreiköpfige Schlange, welche die vollkommene Vereinigung von Körper, Seele und Geist symbolisiert, und der Pelikan. Bild 20 des Rosarium zeigt die Perfectio durch Christus (vgl. Parallele von Lapis und Christus) mit seinem vollkommenen Leib der Auferstehung (corpus glorificationis), der „aller Makel bloß“ ist. Auch geometrische Figuren wie Kreis, Dreieck und Quadrat (Mandala) verdeutlichen die Vollkommenheit des Steins.

Durch das Opus magnum will der Alchemist die Natur bzw. den Makrokosmos zur Vollkommenheit bringen und damit auch den göttlichen Anthropos bzw. filius macrocosmi erlösen, der in der unvollkommenen Materie gefangen war. Der damit verbundenen Gefahr der Inflationierung durch das Unbewusste kann der Alchemist nach Jung (GW XII, S. 404f) nur durch Bezug auf das Selbst entgehen. Beim Selbst, dem psychologisch die Perfectio zuzuordnen ist, geht es aber weniger um Vollkommenheit als um Vollständigkeit.

Literatur: Standard

Autor: Krapp, Manfred