Doppelgänger: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 29. November 2011, 09:57 Uhr

Keyword: Doppelgänger

Links: Angst, Komplex, Persona, Schatten

Definition: Unter dem Begriff des Doppelgängers versteht man in der Regel das rätselhafte Pendant eines Menschen, welches in dessen gewohnter Alltagsumgebung in Erscheinung tritt und von dem man sich wie von seinem eigenen, sich verselbständigenden Schatten verfolgt fühlt.

Information: Das relativ junge Doppelgängermotiv findet in der Kunst vor allem in der romantischen Literatur Verwendung. In der Spätromantik haben die Autoren E. T. A. Hoffmann und E. A. Poe das Erzählmotiv entwickelt und variiert. Später prägten Maler wie Max Ernst und Renèe Margritte das Bild vom Doppelgänger. In subkulturellen Kontexten meint Doppelgänger häufig die menschliche Kopie, den sogenannten look-alike einer prominenten Persönlichkeit. Narzisstischer Starkult und das Verschwinden in einer gleichförmigen Masse liegen hier nahe beieinander. So scheint das Doppelgängermotiv heute einer Multiplizierung zu unterliegen, sowohl intrapsychisch – im Sinne einer multiplen Persönlichkeitsentdifferenzierung gemäß dem Ausspruch „Ich sind viele“ – als auch extrapsychisch im Sinne einer biotechnologischen Reproduzierbarkeit von Individuen als Roboter oder Klone. Damit scheint der Mensch das Postulat seiner Kohärenz und Unersetzbarkeit aufzugeben, was sowohl individuell als auch kollektiv für die menschliche Rasse an sich Geltung hat.

Interpretation: Der verdoppelte Mensch fühlt sich in seiner Einzigartigkeit bedroht. Er ist gekränkt, wenn er mit jemandem verwechselt wird. Unter Umständen verliert er das Gefühl, nicht mehr er selbst zu sein. Ist er es noch, wenn es da draußen jemanden gibt, der auch er ist? - So kann die Bedrohung des Ichs zu Depersonalisation und Derealisation führen. Oder repräsentiert er vielleicht sogar sein wahres Ich? Um dies zu (heraus zu) finden, muss er ihn ebenso verfolgen, wie er ihn verfolgt.

Die mit der Existenz eines Doppelgängers einhergehenden Befürchtungen, können mit den Ängsten identifiziert werden, die die Analytische Psychologie dem Phänomen des Schattens zuschreibt. So können sich im Doppelgänger im Sinne einer globalen Projektion des Selbst alle unbewussten psychischen Inhalte verdichten, die zu bedrohlich sind, um bewusst werden zu dürfen. Im Gegensatz zum Schatten verfolgt uns der Doppelgänger nicht auf Schritt und Tritt, sondern führt ein Eigenleben. Von ihm fühlen wir uns nicht nur bedroht, sondern wir sind vielleicht auch fasziniert von ihm, nehmen seine Spur auf, um ihm zu begegnen und um uns mit dem auseinander zu setzen, was er repräsentiert. Im Doppelgängermotiv sind wir der Erkenntnis unseres Abseitigen näher als im Schattenbild.

Eine besonders treffende psychologische Studie findet sich in Dostojewskijs früher Erzählung „Der Doppelgänger“. Der Begegnung mit seinem Doppelgänger geht eine von inneren Kämpfen und äußeren Verwerfungen zugrunde liegende Identitätsverunsicherung des Protagonisten voraus, die in dem Satz kulminiert: »Ich bin nicht ich, sondern jemand ganz anderer«. Ebenso wie sich aus dem psychodynamischen Vorlauf eine dissoziative Störung der Identität andeutet, scheint der Doppelgänger einem paranoidem Wahn entsprungen, da dieser ihn überall hin verfolgt und ihn aus seinem Leben zu verdrängen sucht. Es ist die Kunst der Erzählung, ohne psychologische Eindimensionalität die Ambiguität des Doppelgängermotivs zugänglich zu machen.

Literatur: Standard

Autor: te Wildt, Bert