Daimon und Sufismus: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Keyword:''' Daimon
'''Keyword:''' Sufismus


'''Links:''' [[Besessenheit]], [[Energie]], [[Engel]], [[Geist]], [[Komplex]], [[Magie]], [[Selbst]], [[Teufel]]
'''Links:''' Eros-Prinzip [[Gottesbild]], [[Herz]], [[Individuation]], [[Liebe]], [[Rose]], [[Tanz]], [[Wein]]


'''Definition:''' Der Begriff Dämon (lat. daemon, griech. daimona = göttliches Wesen; Schicksal, Verhängnis) hat eine doppelte Bedeutung. Zum einen wir er als ein böser Geist, der den Menschen besessen machen kann, verstanden, andererseits auch als ein göttliches, gutes Wesen.
'''Definition:''' Sufismus wird häufig als die Mystik des Islam bezeichnet. Zwar hat der Sufismus in der islamischen Kultur eine besondere Blüte erfahren, nach seinem Selbstverständnis ist Sufismus jedoch ein spiritueller Schulungsweg, der weltanschaulich, räumlich und zeitlich unabhängig und frei ist. So betont Ibn Arabi, ein großer Sufilehrer des 12. Jahrhunderts: „Mein Herz ist offen für alle Formen [...] , meine Religion ist die Religion der Liebe.


'''Information:''' Zur Zeit des Homer (9. Jh v. Chr.) war der Ausdruck "Daímon" für Gottheit noch ebenso gültig wie "Theós" oder "Theá" (Gott/Göttin). Erst ab Hesiod (8. Jh. v. Chr.) wird damit ein Wesen der Zwischenwelt bezeichnet. Der Daimon ist von da an eine numinose, faszinierende, auf irrationale oder unerwartete Weise sich äußernde göttliche Kraft, ohne dass der Kraftträger personifiziert würde. Jede hervorragende Kraft oder Tat, ob begeisternd oder verhängnisvoll, wurde eine "dämonische" genannt, da sie als Wirkung einer Gottheit galt. Eine gebräuchliche Etymologie leitet den Daimon ab vom gr. Verb daiesthai (= teilen) als "Zuteiler des Schicksals". Ab Pindar (522-442 v. Chr.) ist die Rede vom Daimon eines Einzelnen als eines persönlichen wegleitenden Schutzgeists (röm. Genius). Sokrates (469-399 v. Chr.) spricht von seinem "Daimonion” als göttlicher innerer Stimme, die ihn auf dem Wege seiner Bestimmung hielt. Ein wichtiges Zeugnis des Daimon als persönlichem Schutzgeist findet sich bei Platon (427-347 v. Chr.) am Ende der "Politeia". In diesem letzten Mythos griechischer Überlieferung wird berichtet, wie sich die menschlichen Seelen vor ihrer (Wieder-) Geburt in freier Wahl einen "Grundriss" (gr. paradeigma) ihres zukünftigen Lebens selbst aussuchen, und dass ihnen ein dazu passender persönlicher Daimon mitgegeben wird. Beim dramatischen Übertritt in die Erdenwelt werden die Wiedergeborenen zwar die gewählte Aufgabe vergessen, doch wird ihr Daimon als wegleitender innerer Rufer nicht aufhören, sie daran zu erinnern.
Viele berühmte SufimystikerInnen galten wegen ihrer Offenheit im Islam als Häretiker.


Trotz der Nähe zu Platon in vielen Punkten werden in der frühchristlichen Kirche die Daimones der Antike dennoch samt und sonders zu Dämonen im einseitig negativen Sinn. Im MA kommen noch die Götter und Geister nördlichen Ursprungs dazu, die diabolisiert werden.
In der Etymologie wird meistens auf drei Bedeutungen des Wortes Sufismus verwiesen: saf – rein, weiß im Sinne des Frei-Seins von Voreingenommenheiten und Verstrickungen; suf – Wolle, entsprechend den Wollgewändern, die in manchen Sufi-Orden getragen wurden; Sophia – Weisheit. In diesem Sinne ist Sufismus zu verstehen als ein Teil des evolutionären Stroms der Suche nach Weisheit, der philosophia perennis.


In den Engeln gewinnen sie immerhin auch als positive numinose Kräfte Gestalt: Flügel zeigen sie als Wesen des Raumes zwischen Himmel und Erde. Auch in anderen Kulturen, die oft über differenzierte Dämonen- und (Natur-)Geisterwelten verfügen, sind Flügel Kennzeichen göttlich-daimonischer Kräfte, die auf Herkunft aus einer "Anderswelt" hindeuten. Böse oder niedere Dämonen ("unsaubere Geister") gelten in allen Naturreligionen als Ursache von Krankheit und Wahnsinn. Sie erzeugen Besessenheitszustände, von denen auch noch das NT berichtet.
'''Information:''' Die Aufgabe des Sufismus als spiritueller Schulungsweg besteht darin, dem Suchenden Hilfestellung zu geben, das Herz zu öffnen und das Bewusstsein zu weiten. Der Weg der Selbsterkenntnis, der Menschen mit der Energie der Liebe hilft, das in ihnen verborgene Potential zur Entfaltung zu bringen, wurde früher auch „die Alchemie des Herzens“ genannt. Gemeint ist ein Transformationsprozess, der mit Liebe, Sehnsucht und Hingabe verbunden ist, also mit dem, was traditionell als weibliche Qualitäten des Liebens eingeschätzt wurde.


'''Interpretation:''' C. G. Jung hat an vielen Stellen in Bezug auf die Symptomatik unbewusster Komplexe und vor allem archetypischer Wirkmächte auf die Verwandtschaft mit den Erscheinungsweisen abgespaltener Dämonenkräfte hingewiesen, sowohl im Kollektiv als auch individuell. Jeder Archetypus ist ein Daimon, der sich in verschiedenen Ausdrucksebenen zeigt, z. B. auch in prägenden Strömungen des "Zeitgeists". Im Individuationsprozess sieht Jung im Vorhandensein einer inneren Stimme, eines Gefühls von Bestimmung ein "persönliche Daimonion" am Werk. Am konsequentesten unter den jungianischen Psychologen vertritt James Hillman die Auffassung eines persönlichen "Daimon" ("Charakter und Bestimmung"), den er auch "Genius" oder "Engel" nennt. Hillman bezieht sich direkt auf den platonischen Mythos. Seine "Eicheltheorie" besagt, dass der persönliche Entwicklungsauftrag dem einzelnen Menschen von Anbeginn als Bild eines definitiven Charakters mitgegeben sei, so wie der Bauplan einer Eiche schon in die Eichel "eingefaltet" ist. Der innere Daimon wirke auf die fortschreitende Entfaltung dieses Bildes hin, doch schrecke die Seele u. U. vor der Größe der Aufgabe oder Berufung zurück, was zu neurotischen Symptomen führen könne. Nicht Störungen der zurückliegenden biographischen Geschichte seien die Ursache, sondern Angst vor der zukünftigen, unbewusst gefühlten Bestimmung. Um diese zu erfüllen, erfinde der Genius jedoch unermüdlich Mittel und Wege, die das ursprüngliche Bild auch in der Verzerrung erahnen lassen. Im psychotherapeutischen Prozess gehe es darum, das angeborene Bild aufzufinden, das sich auf allen Lebensstufen in irgendeiner Form zu zeigen versuche, besonders deutlich in der Kindheit.
Im Mittelpunkt aller spirituellen Übungen steht die Beziehung zu der oder dem Göttlichen Geliebten. Dieses Gottesbild der Göttlichen Geliebten oder des Freundes, wie es in manchen Sufi-Texten heißt, kann nur paradox beschrieben werden: „Die Geliebte der Sufis ist das letztgültige Bild Gottes, des Geliebten, es ist die Zerbrecherin aller Bilder im Schrein des Herzens. Sie ist die Form, die über die Form hinausführt.“
Yakub ibn Yusuf)
 
Am Anfang der islamischen Richtung des Sufismus steht eine Frau: Rabi'a al-'Adawiyya, eine der bedeutendsten Mystikerinnen im arabischen Raum. Sie lebte im 8. Jahrhundert in Basra und wird auch heute noch als große Heilige im Islam verehrt. Rabi'a beschrieb als Erste ihre Beziehung zum Göttlichen in der erotischen Sprache der vertrauten Beziehung zwischen Liebender und Geliebtem. Nach Annemarie Schimmel ist es Rabi'a, auf die die Veränderung des Sufismus vom trockenen, leib-, welt- und menschenfeindlichen Asketentum hin zur Liebesmystik zurückzuführen ist.
 
Das Thema der Sufi-Dichtungen, insbesondere die Werke von Maulana Rumi, einem der bedeutendsten Sufilehrer vom 13. Jahrhundert bis heute, ist immer wieder Liebe als mystische Erfahrung, in der Liebe, Liebender und Geliebte eins sind. Die berühmteste Liebesgeschichte, in der es um die Transzendenz der Liebeserfahrung geht, ist die im gesamten arabischen Raum verbreitete Erzählung von Leila und Maschnun.
 
'''Interpretation:''' Gedichte und Erzählungen der Sufi-Literatur sind reich an Symbolen. Neben der irdischen Geliebten, die für den Göttlichen Geliebten steht und deren berauschende Schönheit hymnisch besungen wird, sind es: die mystische Rose; die Nachtigall und ihre Sehnsuchtslieder; das verzehrende Feuer der Liebe; das verbrannte Herz; der Mundschenk, der trunken macht; der Wein, der aus unreifen Trauben gekeltert wird; der Wirbeltanz als Ausdruck der erlebten Ekstase; die klagenden Töne der Rohrflöte, die sich nach ihrem Ursprung zurücksehnt. Häufige Bilder sind ferner: die Lebensreise, z. B. in Attars Sufi-Erzählung „Vogelgespräche“ über die Pilgerfahrt nach innen; das Aufwachen aus dem Schlaf der Unbewusstheit; den Herzensspiegel zu polieren, bis das Bild des Geliebten darin aufleuchtet.
 
Viele sehr humorvolle Sufi-Geschichten und Parabeln kreisen um die Heldentaten des Mulla Nasrudin, der immer wieder die Begrenztheit menschlichen Denkens ad absurdum führt. Auch in vielen Tiergeschichten geht es darum, die Konditionierungen und die Enge des menschlichen Verstehens deutlich zu machen: „ ‚Wie absurd', sagte die Eintagsfliege, als sie das erste Mal das Wort ‚Woche' hörte.
 
Auswirkungen auf die Kultur, die Kunst und die Wissenschaften sind im Osten wie im Westen zu finden, in der westlichen Kulturgeschichte z. B. in den Minnegesängen der Troubadoure und in Bauelementen der gotischen Kathedralen, den Fensterrosen. Im Laufe der Geschichte haben sich verschiedene Zweige und Richtungen der Sufismus ausgebildet (sog. Sufi-Orden), die mit unterschiedlichen Hilfsmitteln arbeiten: Musik, Mantren, sog. Derwischtänze, das laute Dzikr oder das stille schweigende ständige Gottesgedenken (stilles Dzikr), das mit dem christlichen Herzensgebet verwandt ist.
 
Für heutige Sufigruppen ist ein wichtiges Unterscheidungskriterium, ob sie auf der Höhe der heutigen Zeit und mit den Schulungsmitteln unserer Zeit arbeiten oder nur traditionelle unlebendige Nachahmungen veralteter Ausdrucksformen des Sufismus sind.


'''Literatur:''' Standard
'''Literatur:''' Standard


'''Autor:''' Romankiewicz, Brigitte
'''Autor:''' Dorst, Brigitte

Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 17:52 Uhr

Keyword: Sufismus

Links: Eros-Prinzip Gottesbild, Herz, Individuation, Liebe, Rose, Tanz, Wein

Definition: Sufismus wird häufig als die Mystik des Islam bezeichnet. Zwar hat der Sufismus in der islamischen Kultur eine besondere Blüte erfahren, nach seinem Selbstverständnis ist Sufismus jedoch ein spiritueller Schulungsweg, der weltanschaulich, räumlich und zeitlich unabhängig und frei ist. So betont Ibn Arabi, ein großer Sufilehrer des 12. Jahrhunderts: „Mein Herz ist offen für alle Formen [...] , meine Religion ist die Religion der Liebe.“

Viele berühmte SufimystikerInnen galten wegen ihrer Offenheit im Islam als Häretiker.

In der Etymologie wird meistens auf drei Bedeutungen des Wortes Sufismus verwiesen: saf – rein, weiß im Sinne des Frei-Seins von Voreingenommenheiten und Verstrickungen; suf – Wolle, entsprechend den Wollgewändern, die in manchen Sufi-Orden getragen wurden; Sophia – Weisheit. In diesem Sinne ist Sufismus zu verstehen als ein Teil des evolutionären Stroms der Suche nach Weisheit, der philosophia perennis.

Information: Die Aufgabe des Sufismus als spiritueller Schulungsweg besteht darin, dem Suchenden Hilfestellung zu geben, das Herz zu öffnen und das Bewusstsein zu weiten. Der Weg der Selbsterkenntnis, der Menschen mit der Energie der Liebe hilft, das in ihnen verborgene Potential zur Entfaltung zu bringen, wurde früher auch „die Alchemie des Herzens“ genannt. Gemeint ist ein Transformationsprozess, der mit Liebe, Sehnsucht und Hingabe verbunden ist, also mit dem, was traditionell als weibliche Qualitäten des Liebens eingeschätzt wurde.

Im Mittelpunkt aller spirituellen Übungen steht die Beziehung zu der oder dem Göttlichen Geliebten. Dieses Gottesbild der Göttlichen Geliebten oder des Freundes, wie es in manchen Sufi-Texten heißt, kann nur paradox beschrieben werden: „Die Geliebte der Sufis ist das letztgültige Bild Gottes, des Geliebten, es ist die Zerbrecherin aller Bilder im Schrein des Herzens. Sie ist die Form, die über die Form hinausführt.“ Yakub ibn Yusuf)

Am Anfang der islamischen Richtung des Sufismus steht eine Frau: Rabi'a al-'Adawiyya, eine der bedeutendsten Mystikerinnen im arabischen Raum. Sie lebte im 8. Jahrhundert in Basra und wird auch heute noch als große Heilige im Islam verehrt. Rabi'a beschrieb als Erste ihre Beziehung zum Göttlichen in der erotischen Sprache der vertrauten Beziehung zwischen Liebender und Geliebtem. Nach Annemarie Schimmel ist es Rabi'a, auf die die Veränderung des Sufismus vom trockenen, leib-, welt- und menschenfeindlichen Asketentum hin zur Liebesmystik zurückzuführen ist.

Das Thema der Sufi-Dichtungen, insbesondere die Werke von Maulana Rumi, einem der bedeutendsten Sufilehrer vom 13. Jahrhundert bis heute, ist immer wieder Liebe als mystische Erfahrung, in der Liebe, Liebender und Geliebte eins sind. Die berühmteste Liebesgeschichte, in der es um die Transzendenz der Liebeserfahrung geht, ist die im gesamten arabischen Raum verbreitete Erzählung von Leila und Maschnun.

Interpretation: Gedichte und Erzählungen der Sufi-Literatur sind reich an Symbolen. Neben der irdischen Geliebten, die für den Göttlichen Geliebten steht und deren berauschende Schönheit hymnisch besungen wird, sind es: die mystische Rose; die Nachtigall und ihre Sehnsuchtslieder; das verzehrende Feuer der Liebe; das verbrannte Herz; der Mundschenk, der trunken macht; der Wein, der aus unreifen Trauben gekeltert wird; der Wirbeltanz als Ausdruck der erlebten Ekstase; die klagenden Töne der Rohrflöte, die sich nach ihrem Ursprung zurücksehnt. Häufige Bilder sind ferner: die Lebensreise, z. B. in Attars Sufi-Erzählung „Vogelgespräche“ über die Pilgerfahrt nach innen; das Aufwachen aus dem Schlaf der Unbewusstheit; den Herzensspiegel zu polieren, bis das Bild des Geliebten darin aufleuchtet.

Viele sehr humorvolle Sufi-Geschichten und Parabeln kreisen um die Heldentaten des Mulla Nasrudin, der immer wieder die Begrenztheit menschlichen Denkens ad absurdum führt. Auch in vielen Tiergeschichten geht es darum, die Konditionierungen und die Enge des menschlichen Verstehens deutlich zu machen: „ ‚Wie absurd', sagte die Eintagsfliege, als sie das erste Mal das Wort ‚Woche' hörte.“

Auswirkungen auf die Kultur, die Kunst und die Wissenschaften sind im Osten wie im Westen zu finden, in der westlichen Kulturgeschichte z. B. in den Minnegesängen der Troubadoure und in Bauelementen der gotischen Kathedralen, den Fensterrosen. Im Laufe der Geschichte haben sich verschiedene Zweige und Richtungen der Sufismus ausgebildet (sog. Sufi-Orden), die mit unterschiedlichen Hilfsmitteln arbeiten: Musik, Mantren, sog. Derwischtänze, das laute Dzikr oder das stille schweigende ständige Gottesgedenken (stilles Dzikr), das mit dem christlichen Herzensgebet verwandt ist.

Für heutige Sufigruppen ist ein wichtiges Unterscheidungskriterium, ob sie auf der Höhe der heutigen Zeit und mit den Schulungsmitteln unserer Zeit arbeiten oder nur traditionelle unlebendige Nachahmungen veralteter Ausdrucksformen des Sufismus sind.

Literatur: Standard

Autor: Dorst, Brigitte