Dummling

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Keyword: Dummling

Links: Drei, Held, Heldenreise, Initiation, Märchen, Prüfung, Trickster, Narr, Clown

Definition: Der Dummling (auch Tölpel genannt) ist eine Heldenfigur im Märchen, die meist männlichen Geschlechts ist, oft der Dritte und meist der Jüngste einer Familie oder Personengruppe.

Information: Wie in Suchwanderungen im Märchen beginnt die Handlung meist mit einer Mangelsituation, in der einer oder mehrere der älteren, vermeintlich tüchtigeren Brüder des Dummlings vom Vater auserwählt werden, sich auf den Entwicklungsweg zu begeben, um nach einer Lösung (des Rätsels oder der Aufgaben) oder einem Ausweg zu suchen. Der Dummling "scheint nicht recht von dieser Welt" zu sein, wird als Faulpelz, "zurückgeblieben" oder Tagträumer bezeichnet. Von seiner Umgebung wird er zunächst als unfähig angesehen, seine inneren Möglichkeiten unterschätzt oder noch nicht erkannt. In seiner Nichtanpassung sind Züge des Heldischen aber bereits angelegt. Nachdem die ihm vorgezogenen Brüder scheitern, muss oder darf der Dummling sich freiwillig oder notgedrungen selbst auf den Weg machen, der in den magischen Bereich, den Bereich des Unbewussten hineinführt, was als Initiation, als Prüfungsaufgabe verstanden werden kann, bei der man sich bewähren muss und sich allmählich seinem Ziel, der Selbstfindung, annähert.

Häufig werden dem Dummling zuerst auf seinem Weg Aufgaben gestellt, welche die Ausbildung positiver Charaktereigenschaften wie Mut, Mitleid, Hilfsbereitschaft, Ehrfurcht vor dem Leben oder Listigkeit von ihm fordert, wie auch die Zuwendung zu seiner eigenen Trieb- und Instinktseite (subjektstufig symbolisiert in der Zuwendung zu Tieren, Erdgeistern, Zwergen etc.)

Später, wenn der Dummling vor schwerere, scheinbar unlösbare Aufgaben gestellt wird, kann er auf seine Ressourcen und erworbenen Fähigkeiten wie die Hilfsbereitschaft der Tiere oder sonstiger positiver, ihm wohl gesonnener Mächte (pos. Triebaspekte) zurückgreifen (z. B. in Grimms Märchen "Die Bienenkönigin").

Er erlangt somit, was noch keiner vor ihm geschafft hat: meist die schwer erreichbare Kostbarkeit oder die Königstochter zur Frau und die Königswürde dazu.

Als die Brüder Grimm ihr erstes Märchenbuch einrichteten (Urfassung von 1812) gaben sie der Nr. 64 die Überschrift "Von dem Dummling" und führten darunter vier Märchen auf: "Die weiße Taube", "Die Bienenkönigin", "Die drei Federn" und "Die goldene Gans".

H. C. Andersen hat mit "Klodshans" ("Tölpelhans") 1856 ebenfalls ein Dummlingsmärchen verfasst. Sein Tölpelhans kann nicht, wie seine Brüder, das Lateinlexikon auswendig aufsagen. Im Wettbewerb um die schlagfertige Prinzessin bekommt er kein Pferd ab, sondern begnügt sich mit dem Ziegenbock (Ziege). Er hat aber den richtigen Blick für die unscheinbaren Dinge am Wegesrand (tote Krähe, alter Holzschuh, sogar Schlamm), die er kreativ im Sinne einer prima materia verwendet und somit die Königstochter und das Königsreich dazu gewinnt.

In der archetypischen Figur des Kasperle (Trickster Narr Clown) kehrt diese Gestalt wieder, der auch in schwierigsten Situationen niemals aufgibt und dessen unermüdlicher Kampf gegen alle Dunkelmächte typisch ist. (Teufel Hexe Drachen Tod).

Interpretation: Der Dummling als bekanntes mythologisches Motiv symbolisiert die Echtheit und innere Unversehrtheit der Persönlichkeit. Aufgrund seiner Nähe zum Archetyp des Kindes wie auch zum Archetyp der Tricksters (Narr Clown) ist er Träger von Selbstaspekten und Ganzheitspotential. Der Dummling kann als Verkörperung der neu entstehenden, sich entwickelnden Persönlichkeit verstanden werden, wie auch als Personifikation des Strebens nach Selbstverwirklichung. Der Dummling, seine zwei Brüder und sein Vater können psychologisch als die vier Orientierungsfunktionen verstanden werden. Während eine der vier Funktionen als alt bezeichnet wird (der König Vater) und damit die Einseitigkeit der Bewusstseinseinstellung charakterisiert, ist die vierte Funktion (der Dummlin, der Tölpel, der Jüngste) durch ihre Beziehung zur unbewussten Welt charakterisiert und symbolisiert daher eine Funktion, die ihre Kraft von dort bezieht. Die Tölpelhaftigkeit kann als der Ausdruck für die allgemeine Undifferenziertheit der vierten Funktion verstanden werden, die sich in einem archaisch-unentwickelten Zustand befindet. Diese wird entweder als Tölpelhaftigkeit oder als Armut dargestellt. Der mit dem Unbewussten, mit den inneren Ressourcen verbundene Seelenanteil vermittelt jedoch den lebendigen Reichtum des Unbewussten und eine Neuorientierung, welcher der bewussten Funktion fehlt. Der Dummling hat die neuen Lebenswerte gefunden und wird zum Erben des Reiches. Es ist psychologisch darin ausgedrückt, dass diejenige Person, die als die bisher herrschende Einstellung und als differenzierte seelische Funktion gedeutet wurde, beiseit geschoben wird, um dem "Helden", dem bisher verachteten Vierten, Platz zu machen. Damit erwächst der Gesamtpersönlichkeit, dem "Königreich" eine neue Führung und zwar durch eine junge Kraft, welche die väterliche Tradition durch den Kontakt mit dem Unbewussten ergänzen kann.

Literatur: Standard

Autor: Kuptz-Klimpel, Annette