Erfahrung, spirituelle

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Keyword: Erfahrung, spirituelle

Definition: Erfahrung, ursprünglich in der Bedeutung von "fahren", sich vorwärts bewegen. Im übertragenen Sinn sind die Erlebnisse, die Kenntnisse, schließlich die daraus resultierende Erkenntnis gemeint, die "auf dem Weg" er-fahren werden.

Information: Während im heutigen allgemeinen Sprachgebrauch die Erlangung von solcher Erfahrung gemeint ist, die durch Vermittlung der Sinne, durch (aktives) Erproben bzw. durch (passives) Erleiden erfolgt, lenkt die Psychologie die Aufmerksamkeit auf das, was auf dem - "inneren" Weg (im weitesten Sinn des Wortes) zu erfahren ist.

Dazu gehören insbesondere die Erlebnisbereiche der Mystik, die Begegnung mit einem Mysterium, die Erfahrung eines Symbols u. a. Stets geht es um die Konfrontation dem zugrundeliegenden Spirituellen. Ohne solche Erfahrung ist religiöses Leben nicht zu denken.

Ehe ein Dogma formuliert werden kann, ehe Ritus und Glaubenszeugnis theologisch interpretiert bzw. reflektiert werden können, bedarf es der vorausgegangenen Erfahrung der Nähe Gottes bzw. der Geistes-Gegenwart. Die Ursprungszeiten und die reformatorischen Aufbrüche in der Religions- und Kirchengeschichte basieren auf Akten bestimmter Gottes-Erfahrung In solchen Momenten ist der Mensch der Empfänger, aber niemals der "Macher" dessen, was sich von Gott bzw. von der göttlich-geistigen Welt her offenbart. In Zeiten der Veräußerlichung und der pseudo- bzw. quasireligiösen Routine, in denen die bloße Verwaltung religiöser Institution das Übergewicht bekommt, nimmt der Erfahrungs-Hunger naturgemäß zu.

Erfahrung hat aber auch ihre Grenzen, etwa überall dort, wo sie zum Selbstzweck erhoben wird: Erfahrung um der Lust an Erfahrung willen, ohne dass die erforderlichen praktischen Konsequenzen gezogen werden. Gemeint ist die unerlässliche Umsetzung des Spirituellen im Alltäglichen.

Darüber hinaus kennt die Mystik in West und Ost den Gestaltwandel von Erfahrung in die Nicht-Erfahrung hinein. So wie die Meditation in einem vorgerückten Stadium die Bilder, Gedanken und Begriffe hinter sich lassen und auslöschen muss, so bedarf es jener Ge-Lassenheit, die selbst auf den "Genuss" (vermeintlicher) spiritueller Erfahrung zu verzichten vermag: "Gott ist größer als unser Herz!"

So bedarf jede Erfahrung auch der Eingrenzung und der Korrektur durch die Gottes- und Nächstenliebe. Da ist die jede egoistische Erfahrung ablehnende Geste der spanischen Mystiker: "Nichts, Nichts, Nichts!" Da ist andererseits im Zen-Buddhismus die nicht minder entschiedene Abwehr des "Makyo", d. h. diabolisch-illusionärer Phänomene während der Meditation, die Geistesschau vorgaukeln, jedoch die wahre Erleuchtung verstellen.

Johannes vom Kreuz, der die "dunkle Nacht" der Sinne und des Geistes ernst genommen sehen will, geht so weit zu sagen, "alle Visionen, Offenbarungen und übernatürliche Empfindungen und was man sich sonst noch Hohes denken mag, haben viel weniger Wert als der geringste Akt der Demut".

Weitere Parallelen finden sich bei Meister Eckhart und selbst in der Alchemie, die das eigentliche spirituelle "Werk" (ergon) vom zweitrangigen "Parergon" (Beiwerk), etwa in Gestalt bestimmter chemischer Resultate, unterscheidet.

Literatur: Standard

Autor: Wehr, Gerhard