Unten

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Keyword: Unten

Links: Abgrund, Abstieg, Bios-Prinzip, Dunkelheit, Erde, Fallen, Heros-Prinzip, Mutter, große Nacht, Nachtmeerfahrt, Oben, Regression, Sexualität, Tiefe, Trieb, Treppe, Unbewusstes, Unterwelt

Definition: Unten ist eine Richtungsangabe, die sich auf eine vom Beobachter aus betrachtet tiefer gelegenen Stelle, an einem tief gelegenen Ort bezieht. Unten und oben sind entgegengesetzte Richtungen, bei denen die Schwerkraft der Erde zur Definition verwendet wird. Oben ist die Richtung entgegen der Schwerkraft, unten ist die Richtung mit der Schwerkraft.

Information: Die Polarität "Oben - Unten" ist eine der Urpolaritäten. Auf- und Abstieg, Extraversion und Introversion, Progression und Regression sind die beiden Seiten des einen rhythmisch-zirkulären Lebensprozesses, die sich gegenseitig fordern und bedingen. Das ständige Auf und Ab alles Lebendigen ist der Pulsschlag der Schöpfung. Das eine gibt es nicht ohne das andere.

Viele Schöpfungsmythen lassen die Welt- und Selbst-Bewusstwerdung des Menschen beginnen mit einer Aufspaltung der uranfänglichen Einheit in einen oberen und einen unteren Bereich: Himmel und Erde, Geist und Materie.

Interpretation: Entsprechend der in unserer logos-orientierten und leistungsorientierten Gesellschaft überwiegend positiven Bewertung des Oben, wird in ihm der Bereich des Unten vorwiegend mit negativen Qualitäten und Eigenschaften versehen. Das Untere, als das weiblich-mütterliche Yin-Prinzip, als der Mond, die Erde, die Natur, der Körper, die Materie, das Dunkle, das Unbewusste, das Vieldeutige, das Chaos, der Trieb- und Instinktbereich, wird zum Schlechten und Bösen, zum Fleischlichen, Triebhaften und Sündigen. Das spiegelt sich auch sehr deutlich in unserer Sprache. Wir sind z. B."heruntergekommen", "abgestiegen" und "abgefallen" von den erhabenen Höhen des Geistes und eines "edleren Menschentums" in die dunklen "Niederungen" der menschlichen Irrungen und Wirrungen.

Wenn wir uns depressiv und schlecht fühlen, sind wir "down" oder gar "ganz unten", wir haben unseren "Tiefpunkt". Wir werden "heruntergemacht" oder lassen uns "unterkriegen" oder sind "unten durch". Eine Ausnahme bildet der Begriff der Tiefe, der auch in positiven Zusammenhängen auftaucht (tiefste Wahrheit, etwas vertiefen, tiefgründig, tiefsinnig etc.). Tiefensymbolisch ist unten die Große Mutter mit ihrer Doppelnatur, mit ihrem lebenschenkenden und lebenerhaltenden Aspekt und ihrer furchtbaren, verschlingenden und tötenden Seite. Das Gefangensein in ihrem Bereich stellt nicht nur einen wichtigen Faktor seelischer Erkrankungen dar, sondern ist eine der großen Gefahren der Menschheit überhaupt. Gerade die Hybris des Ichbewusstseins mit seiner Abwertung und Abspaltung des Unteren macht es schwach und blind für die geheimen, hinterrücks wirkenden Einflüsse der negativen Aspekte des Archetyps der "Großen Mutter", wie sie z. B. in der Dominanz der Naturwissenschaften, im Materialismus, im Kollektivismus und in der Überbetonung der Objekt- und Tatsachenwelt sichtbar werden.

Mit zunehmender Einsicht aber in die selbstzerstörerische Wirkung der Hybris des modernen Menschen und durch die Relativierung der einseitig-patriarchalen Wertvorstellungen kommt es auch zu einer Wandlung in der Beziehung zum Unteren. Diese in der Renaissance begonnene und in der Romantik fortgesetzte Umwertung fand in der Frauenbewegung, in der Tiefenpsychologie und in der Humanistischen Psychologie ihren deutlichsten Ausdruck. Man wendete sich dem matriarchalen, lunaren Bewusstsein zu, entdeckte die Sprache und Weisheit des Körpers und der Natur und erschloss sich die Bereiche des Gefühls und der Sinnlichkeit. Das Untere wurde als schöpferische Matrix, als eigentliche Lebensbasis, als Ort der elementaren Bedürfnisse, Überlebensinstinkte, der Lebensquelle und Lebensenergie, der Regeneration, der Inspiration, der Kreativität und der Bewusstseinserweiterung erkannt. Es hat eine radikale "Umwertung der Werte" stattgefunden. Alles Gute kommt nicht mehr von oben, sondern auch von unten, aus der Materie, der Erde, aus dem Körper und dem Unbewussten. Selbst der Ursprung des Geistes, den man früher als etwas empfand, das gewissermaßen losgelöst und freischwebend von oben über den Menschen kam, findet sich in der Materie und im Unbewussten. Das Ziel ist nicht mehr die Beherrschung und Besiegung des Unteren, sondern seine Erlösung und schöpferische Integration.

Literatur: Standard

Autor: Müller, Lutz