Weltachse

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Keyword: Weltachse

Links: Achse, Erde

Definition: Die Weltachse gehört zum Denken des archaischen Menschen. Sie ist Gegenstand der Religionswissenschaft und der Mythenforschung. Weltachse, heiliger Pfahl, Baum, Berg oder andere vertikale Strukturen als Verkörperungen der axis mundi werden dort errichtet oder erkannt, wo Heiliges sich gezeigt hat (Hierophanie).

Information: Die Weltachse eröffnet kosmische Regionen, sie schafft Verbindung zu den Göttern der Ober- und Unterwelt. Rund um die Weltachse herum erstreckt sich die reale Welt, denn erst die geheiligte Welt ist real und kann zum profanen Raum des Chaos abgegrenzt werden. Erde, Himmel, Unterwelt und ihre Verbindung zueinander schaffen erst den Kosmos."Der Mensch der vormodernen Gesellschaften [...] weiß, dass sein Land wirklich in der Mitte der Erde liegt, dass seine Stadt den Nabel des Universums bildet, [...] , dass der Tempel oder der Palast wahre Zentren der Welt sind; aber er will darüber hinaus, dass sein eigenes Haus im Zentrum liege und eine imago mundi sei." (Eliade, Das Heilige und das Profane, S. 41)

Dabei stört sich der archaische Mensch nicht an der Vielzahl der Weltzentren, weil es sich nicht um ein geometrisches Raumverständnis handelt, sondern um den existentiell-heiligen Raum, der nur die Bedeutung hat, Verbindungen zur transzendenten Welt herzustellen. Nomadenstämme trugen bei ihren Wanderungen die Weltachse in Form eines Pfahles mit sich. Ein Relikt dieser Symbolik findet sich auch in der Errichtung des Kreuzes bei der christlichen Kolonisierung fremder Erdteile zu Beginn der Neuzeit. Hierophanie und Errichtung der Weltachse erschaffen gemeinsam die Welt, die vom Chaos umgeben ist.

Interpretation: In Mythen werden Himmel und Erde oft als Gleichnisse für die Eltern verwendet, wobei der Himmel meist das väterliche, die Erde das mütterliche Prinzip verkörpern. Für die Darstellung der Verbindung von Himmel und Erde, wie sie in den Schöpfungsmythen vorkommt, bedient sich der Mythos vielfältiger Bilder mit vertikaler Struktur. Eines von ihnen ist die Weltachse Sie alle sind Ausdruck der harmonischen Ehe der Welteltern, sowie der engen Gemeinschaft von Irdischem und Himmlischem.

Analytische Deutungen sehen darin manchmal den Phallus, manchmal eine Nabelschnur, die "als geschlechtliche Vereinigung und physische Mutter-Kind-Symbiose [...] wohl die stärksten Organsymbole für die Einheit in der Dualität (sind)". (Bischof, Das Kraftfeld der Mythen, S. 216). Die Ablösung aus der Symbiose, die Trennung der Welteltern und andere elementare Teile im Mythos setzt Bischof parallel zu Reifungsphasen der menschlichen Entwicklung. Die Weltachse als Symbol für Phallus und Nabelschnur steht am Beginn jedes individuellen Lebens.

Jung erkennt in der Weltachse die archaische Vorstellung eines in den Kosmos projizierten Individuationsprozesses. Wenn etwa beim Initiationsritus eines Schamanen ein Baum, ein Seil oder eine andere Struktur, die der Weltachse entspricht, den Übergang aus der Diesseitswelt in die Jenseitswelt markiert, dann stellt das Hochklettern symbolisch eine lange und erfolgreiche Bewusstseinsdifferenzierung dar (GW 9, I, § 452). In der Jenseitswelt kann die himmlische Gattin und das eigentliche Selbst gefunden werden (GW 13, § 399, 462), was die Integration der Gegensätze bedeutet und das Ziel der Individuation ist. Die Weltachse kann als Symbol die Kommunikation mit dem verlorenen Jenseits, dem Paradies oder dem unbewussten Selbst wiederherstellen."Es ist [...] nicht erstaunlich, dass das Unbewusste des heutigen Menschen [...] auf das Symbol des in dieser Welt wurzelnden und zum Himmel emporwachsenden Weltenbaumes [...] zurückgreift. (GW 9I § 198). Jung deutet diesen archetypischen Vorgang so, dass das Bewusstsein des Individuums "mit der Basis des kollektiven Unbewussten verknüpft wird" (GW 14 III § 574) oder umgekehrt, dass der Weltenbaum, analog zur Weltachse, "den Aufstieg aus tiernahen Gebieten zu (r) [...] Vergrößerung des Bewusstseinshorizontes [...] darstellt." (GW 9 I § 433). Die Weltachse steht bei Jung als Symbol für die persönliche Reifung ebenso wie für die kollektive Bewusstseinserweiterung.

E. Neumann beschreibt die gesamte Entwicklung und Gestaltung der Persönlichkeit, vor allem des Kindes, unter dem Aspekt des lebendigen Austauschs zwischen Ich und Selbst. Er verwendet dafür das Bild der Ich-Selbst-Achse, die ebenfalls eine symbolische Beziehung zur Weltachse hat.

In der modernen Körpersymbolik entspricht das Rückgrat mit der vertikalen Ausrichtung und dem aufgerichtet Sein des Menschen der Weltachse. Vielleicht drücken die zahlreichen psychosomatisch Kranken mit Kreuz- und Rückenschmerzen auch aus, dass sie an der verlorenen Transzendenz, an Blockierungen auf der Ich-Selbst-Achse oder an Hindernissen im Individuationsprozess leiden.

Literatur: Standard; im Text angegeben

Autor: Friedemann, Monika