Zahl

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Keyword: Zahl

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Definition: Die indogermanische Wurzel des Begriffs Zahl bedeutet spalten, kerben, schnitzen, behauen. Also sind Zahlen eigentlich etwas Eingekerbtes oder ein Einschnitt.

Information: Mit den Zahlen ist das Wesen des menschlichen Geistes und Bewusstseins wohl umfassend beschrieben. Es gibt kaum einen Bereich des Lebens, der Wissenschaft, der Kunst oder der mystischen Traditionen, in denen die Zahlen nicht eine ganz zentrale Rolle spielen. Sie entstanden wohl als Abstraktion aus der elementaren Tätigkeit des Zählens und Anordnens von Gegenständen. Im deutschen Wort „Erzählen“ erscheint die Zahl ebenfalls als die Beschreibung eines nacheinander von Inhalten. Das Denken in Zahlen ist eines der bedeutsamsten und zugleich wundersamsten Phänomene des menschlichen Geistes. Die Bedeutung der Zahl lässt sich über Jahrtausende zurück verfolgen, wohl ursprünglich auch als Ausweis von Kraft und Geschick der erlegten Tiere, aus der Zeit, als die Menschen noch hauptsächlich Jäger und Sammler waren.

Interpretation: Wie zentral die Zahl zur Kennzeichnung menschlichen Lebens ist, zeigt, dass die Götter der alten Zeit mit Zahlen verbunden wurden. Auch die christliche Form der Dreieinigkeit, der Verbindung von drei und eins, fußt auf einer langen geistesgeschichtlichen Tradition, es ist nur eine Variante der heiligen Zahlen, mit denen sich der Mensch wahrscheinlich so lange er zu denken vermag, beschäftigt.

Die Zahl hat damit von Anfang an einen qualitativen / symbolischen und einen quantitativen Aspekt. Diese beiden großen Dimensionen des Zahlenphänomens sind bis in die Neuzeit nachweisbar. Selbst bei einem so scheinbar einfachen Beispiel wie der Eheschließung war es doch erstaunlich, dass z. B. am 1. 1. 1999 besonders viele Ehe geschlossen wurden, wohl in der nicht ganz bewussten aber doch hoffnungsvollen Annahme, dass dieses Datum aufgrund seiner Besonderheit eine besondere Chance für eine glückliche Ehe darstellen würde. So gibt es heilige Zahlen, gute und gefährliche Zahlen, es gibt Glückszahlen und eine Fülle von magischen Anordnungen von Zahlen, sogenannten Zahlenquadraten, die immer nach bestimmten Gesetzen gebildet werden.

Gerade die magischen Quadrate zeigen sehr klar die Verbindung des Rational / Logischen mit dem Symbolisch / Numinosen, zum Beispiel das „Gäber Quadrat“:

4 9 2

3 5 7

8 1 6

Die waagrechten und senkrechten Quersumme ergeben immer die Zahl 15. Die vier Zahlen 3 5 8 1 Zahlen ergeben die Summe 17, eine für Muslime heilige Zahl, nämlich die Anzahl der Worte im Gebetsruf. Die fünf Restzahlen 4 9 2 7 6 haben die Summe 28, die ihrerseits eine wichtige Bedeutung hat: sie gibt die Anzahl der Buchstaben im arabischen Alphabet an, also im Alphabet der Sprache Allahs, ferner zählt sie die Tage zweier Naturperioden: des Mondzyklus und des Menstruationszyklus. Ärzte der damaligen Zeit haben diesem magischem Quadrat eine die Geburt erleichternde Wirkung zugeschrieben.

Für C. G. Jung ist die Zahl "der Archetyp der Ordnung". Die mit der Zahl ermöglichte Einteilung in verschiedene Abschnitte, in Zahlengruppen etc. entspricht wohl weitgehend der Struktur des Geistes. Auch das Bewusstsein fußt auf der Fähigkeit zu unterscheiden, die Unterschiede aber bestehen genau wie bei den Zahlen in der Andersartigkeit des jeweils Neuen. So öffnet die Zahl ungeahnte und ohne sie nicht zugängliche Perspektiven.

Das unendlich Kleine und das unendlich Große wird auf diese Weise zugänglich, sowohl in seiner rationalen Form, wie die moderne Physik es darstellt, wie auch im Hinblick auf die Numinosität des Unendlichen. Die empirische Wissenschaft, die Technik, aber auch die Verbindung zwischen Psyche und Materie ist ohne die Entwicklung der Zahlen nicht möglich. Die Zahl ist somit gerade im Denkmodell der Analytischen Psychologie eine ganz zentrale Kategorie, ohne die entwickeltes psychisches und geistiges Leben nicht möglich wäre.

C. G. Jung hat die Zahl als ordnenden, Übersicht und Struktur gebenden Faktor inhaltlich und formgebend in seine Theorien und Modelle eingearbeitet. Mandalas fußen auf der Vierheit und geometrischen Struktur des Quadrates, die Quaternität ist somit eine Möglichkeit, die Welt bis zum heute denkbaren Erkenntnisstand zu verstehen. Sehr deutlich zeigt sich das auch am Phänomen der Eins, auf die Jung in seinen späten Gedanken mehrfach Bezug nimmt.

Jung kommt zu dem Schluss, weil es mathematische Gleichungen gibt, von denen man bis heute nicht weiß, welchen physischen Wirklichkeiten sie entsprechen, es ebenso auch mythische Wirklichkeiten gibt, von denen wir ebenfalls noch nicht wissen, auf welche psychischen Wirklichkeiten sie sich beziehen. Man hat, und darauf weist er hin, Gleichungen aufgestellt, die die Turbulenz erhitzter Gase ordnen, längst bevor diese genauer untersucht worden waren; und noch seit viel längerer Zeit gibt es Mythologeme, die Prozesse beschreiben, die wir heute erst als solche erkennen können.

Der immer wieder hervorgehobene Hinweis auf die verschiedenen Weltzeitalter, wie schon in der indischen Philosophie beschrieben sind, gehört z. B. in diesen Zusammenhang. Die symbolische Verbindung von Zahlen mit einer nicht überschaubaren Vielfalt des menschlichen Geistes zeigt noch einmal ihre ganz zentrale Bedeutung der Zahlen. Letztlich leiten sich die ebenfalls kaum noch übersehbaren Verbindungen zwischen Inhalten menschlichen Geistes und Zahlenformationen aus dieser grundsätzlichen Verbindung ab. Insofern stellen sie eine Zentralgestalt sowohl des menschlichen Geistes wie der Natur dar.

Mit keinem anderen Phänomen als der Zahl ist es bisher gelungen, Naturprozesse und physikalische Abläufe so exakt zu beschreiben, wie mit den Zahlen und deren Abfolgen. So gehört die Mathematik zu den wohl spannendsten Phänomenen des menschlichen Geistes, zumal die Grundgesetze der Mathematik nicht empirisch gefunden oder begründet sind. Sie eignen sich aber vorzüglich zur Beschreibung der Natur und des gesamten Kosmos. Also auch hier vereinigt sich in der Zahl wieder ein umfassendes qualitatives und quantitatives Sehen und Verstehen, sie ist das eigentliche Symbol der einen Welt, des ‚unus mundus', den Jung ebenfalls immer wieder beschrieben und als Erklärungsbasis herangezogen hat. In der Gestalt der Eins spiegelt sich ebenfalls ganz prägnant das Sagbare und Unsagbare, von ihr ausgehend lässt sich das gesamte Zahlenwerk des menschlichen Geistes entwickeln aber zugleich auch das Unnennbare benennen. So ist die Zahl letztlich, wie wohl jedes große Symbol, eine paradoxe Einheit des Denkbaren und Undenkbaren.

In der psychotherapeutischen Praxis spielen Zahlen in mehrfacher Hinsicht eine Rolle: einmal wird immer wieder versucht, die in Träumen und Visionen vorkommenden Zahlen im Zusammenhang mit der bekannten Zahlensymbolik wie auch den persönlichen Assoziationen zu verstehen und zu deuten.

Wichtiger ist aber die grundsätzliche Bedeutung der Zahl, das Ordnen, Strukturieren, Gliedern, das Nacheinander der Phänomene. Gerade darum geht es in vielen Behandlungen, dass die wirre Vielfalt des Geistes, der Affekte und Gefühle wieder geordnet und auch eingeordnet werden kann und muss. Die Herstellung der biographischen Zusammenhänge ist ein ordnendes Geschehen. Die Rekonstruktion der psychischen Abläufe in der Biographie ist nur möglich, wenn eine Ordnung, ein Nacheinander, ein sinnvolles Miteinander hergestellt werden kann.

Das in der modernen Psychotherapie betonte Narrativ ist ein Erzählen, es hat sich herausgestellt, dass aus mehreren Erzählungen die persönlich erlebte, die subjektive Lebensgeschichte herausgelesen werden kann. Auch hier wieder das Erzählen, das Auflisten und Ordnen verschiedener Erlebnisinhalte. Insofern ist, von der symbolischen Bedeutung her gesehen, die Zahl ein Grundelement des therapeutischen Handelns, schulübergreifend und schulunabhängig. Die Kerbe, die nach der germanischen Mythologie die Nornen ins Scheit geschnitzt haben, die Einkerbungen, stellen die Kernpunkte der persönlichen Entwicklung dar. Genau dies ist die Wurzel des Zahlenbegriffes.

Mit der von den Nornen getroffenen Entscheidung über die Länge des Lebensfadens sind die Tage gezählt. Angesichts des Todes und es damit gesetzten absoluten Endes eins Lebens wird erlebbar, wie tief die Unendlichkeit und Kontinuität der Zahlenreihe, hier die Reihe ‚meiner Tage' in der Psyche verankert ist. Der Tod wird als absoluter Bruch erlebt, danach geht ‚es' nicht mehr weiter, es kann nicht weiter gezählt und von neuen Erlebnissen erzählt werden. Die Bedeutung und Symbolik der Zahlen erscheint überall.

Eine besondere Bedeutung der Zahlen im persönlichen Leben zeigt sich in der sog."anniversary reaction". In wissenschaftlichen Studien wurde herausgefunden, dass ein bestimmtes Datum oder ein Zeitpunkt Einfluss auf die gesundheitliche Verfassung eines Menschen haben, auch krankheitsauslösend oder symptomprovozierend wirken kann. Dieser Zusammenhang wird "anniversary reaction" genannt. So hat man beobachtet, dass für Frauen die Wahrscheinlichkeit, in der Woche nach ihrem Geburtstag zu sterben, höher ist als in jeder anderen Woche des Jahres, in der Woche vor ihrem Geburtstag dagegen sehr gering. Bei Männern sei es umgekehrt. Dass viele Menschen in dem Alter sterben, in dem auch ihr Vater oder ihre Mutter war, als diese gestorben sind, ist Vielen bekannt. Der Einfluss bestimmter Termine im Leben auf die Sterblichkeit oder Auslösung einer Depression konnte epidemiologisch nachgewiesen werden. (Portwich D. und Demöling, J. H. 2002). Viele Menschen haben Angst, wenn sie das Todesalter eines Elternteils erreichen. Dies ist nur ein Beispiel für ein großes Erlebnisfeld, das sich um die Zahlen im Laufe der Menschheitsgeschichte gebildet hat und worauf bei Behandlungen immer geachtet werden sollte, wie dieser "Aberglauben" meist schamhaft verborgen wird, aber deshalb nur umso wirksamer ist.

So ist die Zahl in ihrer umfassenden, kulturellen, persönlichen und bis heute über die archetypischen Wurzeln zugänglichen Symbolik bis in den Ablauf des therapeutischen Prozesses ein ganz zentrales Phänomen, ein großes umfassendes Symbol. Sie stellt die Verbindung von Bewusstem und Unbewusstem immer wieder in kleinen umfassenden Schritten her, ist damit auch Symbol der von Jung beschriebenen transzendenten Funktion. Damit hat Jung eine Fähigkeit der Psyche beschrieben, die Verbindung zwischen dem Bewusstsein und dem Unbewussten, die in der Regel brüchig oder ganz unterbrochen ist, wieder her zu stellen. Es ist eine Brückenfunktion, welche die wachsende Ganzheit der Person, das Ziel der Entwicklung fördert und ermöglicht. Ihre Wirkung zeigt sich in der Vielfalt der Symbole, die in Träumen, Fantasien und Imaginationen erscheinen und den Prozess abbilden.

„Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse“. (Angelus, Silesius)

Literatur: Standard

Autor: Seifert, Theodor